Hat das Innere Kind wirklich Einfluss auf mein Verhalten und meine Beziehung?
Ob du es willst oder nicht: Dein inneres Kind steuert dich viel öfter, als dir bewusst ist. Definition, Hintergrund-Infos und Auswirkungen
Dieser Beitrag ist für die, die sich der Macht des „Inneren Kindes“ über ihr Verhalten und ihre Einstellungen noch nicht ganz bewusst sind, und für die, die den Begriff des inneren Kindes schon öfter gehört haben, zum Beispiel von ihrer Partnerin oder ihrem Therapeuten, aber damit nichts anfangen können, es vielleicht sogar irgendwie blöd finden, weil sie nicht glauben, dass da irgendein Kind in ihrem Inneren ihr Verhalten oder Leben beeinflussen soll.
Jetzt erst mal:
Die Erklärung, was „Inneres Kind“ überhaupt sein soll…
Natürlich sitzt da nicht wirklich ein Kind in deinem Körper, auch nicht die verstorbene Seele eines Kindes, die in deiner Psyche Einzug gehalten hat, sondern es ist einfach nur ein Sinnbild für bestimmte Vorgänge in deinem Gehirn. Die sind sogar vielfach wissenschaftlich belegt!
Und zwar sind es die eingeprägten Erinnerungen, Gefühle und Lernvorgänge der Kindheit, die in ihrer Gesamtheit „das innere Kind“ ausmachen (eigentlich sind es mehrere innere Kinder aus den verschiedenen Altersstufen, aber einfachheitshalber spricht man nur von einem Kind). Ich sage bewusst, die EINGEPRÄGTEN Erinnerungen, denn längst nicht alles prägt sich ein, sondern überwiegend das, was uns geängstigt und verstört hat. In der Hinsicht arbeitet unser Hirn immer noch wie beim Urmenschen: Es speichert die möglichen Gefahrenquellen und unseren Umgang damit, denn wir haben ja überlebt, also muss unser bisheriger Umgang ja irgendwie hilfreich sein… Meint unser Hirn. Also automatisiert es den Umgang damit, den wir damals entwickelt haben. Aber das, was früher irgendwie funktioniert hat, tut es heute in unserem erwachsenen Leben meist nicht mehr, sondern schadet uns sogar oft!
Auch sehr viele der Gefühle, die wir damals in den prägenden Situationen hatten, werden gespeichert. Ein Kind, vor allem ein kleines, ist ja weitaus empfindsamer als ein Erwachsener, weil es vieles noch nicht einordnen kann; es gibt viel mehr, was ein Kind verstören kann, zumal es ja von den Bezugspersonen komplett abhängig ist. In den meisten Menschen ist ein Haufen Schmerz aus der Kindheit gespeichert und kann später zu den berühmten „wunden Punkten“ führen.
Und wozu soll das nun gut sein, sich mit seinem Inneren Kind zu befassen?
Stell dir einfach mal vor, dass das Gehirn ein gigantischer und unglaublicher Computer ist – und das Innere Kind ganz wesentlich zum Betriebssystem gehört. Wenn bei diesem Computer bestimmte Sachen immer wieder schlecht laufen oder Fehler passieren, dann deswegen, weil das Betriebssystem an einigen Stellen früher falsch programmiert wurde. Anders gesagt: Wenn du in der Kindheit in bestimmten Bereichen ungute Dinge gelernt und prägende schlechte Erfahrungen gemacht hast, vor allem über längere Zeit, dann sind da wahrscheinlich viele Programmierungen in deinem Gehirn, die dir später im Weg stehen. Das betrifft vor allem Vorgänge in dem Zeitraum, in dem dein Gehirn am formbarsten war, zwischen der Geburt und etwa dem siebten Lebensjahr.
Was hat uns in der wichtigsten Lernphase geprägt?
Wie gesagt: Das innere Kind besteht aus Erinnerungen an bestimmte Situationen (vor allem verstörende), den Gefühlen dazu – und aus Lernvorgängen. „Lernvorgänge“, das ist sehr umfassend gemeint; es schließt auch sehr ungünstiges Lernen mit ein, wie etwa negative Verhaltens- und Denkweisen der Eltern, die wir übernommen haben – oft ohne es zu merken oder ohne es zu wollen. Und es schließt das ein, was ich schon genannt habe, nämlich welche Reaktionen wir als Kinder entwickelt haben.
Typisches Beispiel aus meiner Generation: Vater befasst sich kaum mit dem Kind, Mutter ist überfordert, das Kind muss funktionieren – vor allem seine emotionalen Bedürfnisse werden kaum wahrgenommen. Was lernt es daraus? „Ich bin unwichtig, meine Gefühle sind unwichtig.“ Das ist auf Dauer ziemlich schmerzhaft und die betreffenden Kinder entwickeln einen unterschiedlichen Umgang damit, den sie meist auch als Erwachsene beibehalten – oft lebenslang. Die einen Kinder machen sich sozusagen unsichtbar, andere nehmen ihre eigenen Gefühle nicht ernst oder drücken später dem Partner jedes einzelne ihrer Gefühle rein, wieder andere „funktionieren“ so sehr, dass sie zu Übererfüllern werden, und manche wollen sich häufig „wichtig machen“, im wahrsten Sinne des Wortes.
Eine der wichtigsten Fragen hier lautet:
Welche ungünstigen Verhaltensweisen und Einstellungen habe ich bereits in der Kindheit entwickelt?
Wenn ich zum Beispiel als Kind immer wieder zu hören bekomme, dass ich an etwas schuld bin, dann entwickle ich wahrscheinlich ein Riesending mit dem Thema Schuld, in der einen oder anderen Richtung; sobald es jemand Nahestehendem nicht gut geht, fühle ich mich entweder schuldig oder beschuldigt. Wenn mir als Kind immer wieder vermittelt wurde, dass man mir kaum etwas zutraut, dann verinnerliche ich das und traue mir selber kaum was zu; für eine Beziehung kann das sehr belastend sein. Wenn ich früher immer wieder mitbekommen habe, dass ich bestimmten Personen (Männern, Frauen, Ausländern, Nahestehenden, xyz) nicht trauen sollte, dann hat mein inneres Kind wahrscheinlich auch später noch diese Haltung.
Mir in meinem erwachsenen Leben sind diese Vor-Einstellungen vielleicht gar nicht so bewusst, aber in bestimmten Trigger-Situationen (Anlässe von außen, die die Ängste und Wunden des in uns gespeicherten Kindes „anticken“) kommt dann ganz automatisch ein bestimmtes Gefühl, eine bestimmte Wahrnehmung, eine bestimmte Reaktion aus mir heraus. So haben etwa manche Frauen eine tief verwurzelte Verächtlichkeit gegenüber Männern, die immer dann zum Vorschein kommt, wenn sie sauer auf ihren Partner sind, oder manche Männer ein inneres Misstrauen gegenüber Frauen oder Männern, was dann zu einer völlig übertriebenen Eifersucht führt, in dem Sinne, dass sie allen Männern unterstellen, die Partnerin eines anderen flach legen zu wollen, oder allen Frauen die Neigung zur Untreue unterstellen.
Ich glaube: Fast alle Reaktionen (und Nicht-Reaktionen), die sehr merkwürdig, irrational oder unverhältnismäßig sind, haben mit dem Inneren Kind zu tun.
Am häufigsten funkt es uns in unsere Beziehungen hinein, und zwar in unsere Paarbeziehungen ebenso wie in andere Beziehungen, etwa zu Familienmitgliedern, Vorgesetzten, Kollegen, Freunden u.ä.. Ungeheuer vieles von dem, was wir in der Kindheit im Umgang mit unseren Bezugspersonen (und ihrem Umgang mit uns) erfahren haben, übertragen wir später auf unsere neuen Bezugspersonen – auch dies eher unbewusst!
Sprich, SEHR viele Probleme in Paarbeziehungen hängen mit Konditionierungen und Schmerzpunkten aus der Kindheit zusammen. Etwa überzogene Ansprüche und Forderungen an den/die Partner/in, Gefühle der Machtlosigkeit und des Ausgeliefert-Seins, unterschwellige Aggressionen, übermäßig häufiges Erleben von Frust oder Enttäuschung, ständige Kritik und Vorwürfe etc..
Kurzum: Es lohnt sich, sich mit dem Konzept des Inneren Kindes zu befassen und es auf sich selbst zu reflektieren!
In meinem Youtube-Video dazu erfährst du noch ein paar echt interessante Infos zu dem Thema!
© Beatrice Poschenrieder