Warum taucht mein Freund einfach ab und ist tagelang nicht zu erreichen?
Corinnas Freund geht sehr oft nicht ans Telefon, meldet sich auch nicht zurück, ist unzuverlässig. Liebt er sie nicht oder hat er andere gute Gründe?
Hallo Beatrice,
ich bin mit meinem Freund seit sieben Monaten zusammen. Eigentlich verstehen wir uns sehr gut. Zumindest solange wir zusammen sind. Wir wohnen 700 km voneinander entfernt. Wenn er bei sich ist und ich bei mir bin, dann kann ich ihn einfach nie erreichen. Ich rufe öfters an, vielleicht auch zu oft, spreche auf die Mailbox, schicke SMS. Aber er meldet sich einfach nicht zurück. Tagelang nicht. Wenn ich ihn darauf anspreche, sieht er die Dramatik gar nicht. Für ihn ist das normal.
Ein anderes Problem ist, dass er z.B. sagt, er hat noch einen Termin abends, aber er sei um 20 h daheim (ich bin zur Zeit bei ihm). Kein Problem, wenn er länger bleiben und dann Bescheid sagen würde, aber das macht er einfach nicht, er kommt dann irgendwann um 3 Uhr nachts nach Hause. Ich sage ihm dann, dass mich das völlig fertig macht und ich mir auch Sorgen mache. Er stempelt mich dann fast als blöd ab und tut so, als wäre nichts gewesen. Heute z.B. sitze ich immer noch allein hier, er wollte letzte Nacht um 1 Uhr kurz zu seinem Bruder ins Nachbarhaus. Er sagte, er sei in einer halben Stunde wieder da. Bis jetzt (2.40 Uhr) habe ich nichts von ihm gehört, bei seinem Bruder ist er nicht mehr. Er ist aber in Joggingkleidung unterwegs, so dass er eigentlich nirgendwo hingegangen sein kann. Zudem sind alle Autos hier, so dass er gar nicht hätte wegfahren können.
Er ist 35, da sollte man meinen, er sei erwachsen. Ich versteh es nicht. Habe ihm schon öfter gesagt, dass ich das nur schwer ertrage und irgendwann nicht mehr kann und dann gezwungen bin, die Konsequenzen zu ziehen, weil ich sonst daran kaputt gehen würde. Ich hatte den Eindruck, er hatte das verstanden; er sagte mir selbst, dass er mich liebt und nicht will, dass ich gehe, und hat versprochen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Das war großer Stress, als er einmal drei Tage nicht nach Hause kam. Wir hatten vereinbart, dass ich am Montag komme, er war nicht da. Bis Donnerstag. Er hat dann bei seinem Bruder übernachtet. Zwei Häuser weiter, während ich hier saß und nicht wusste, was ich tun soll, und sogar schon die Krankenhäuser abtelefoniert habe.
Ich weiß nicht mehr, wie ich ihm verständlich machen soll, dass das so nicht geht, hab ihm so oft gesagt, wie ich mich dabei fühle. Wieso tut er sowas? Ich bin mit meinen Ratschlägen am Ende.
Danke, Corinna (30)
Hallo Corinna,
ich hätte da noch ein paar Fragen…
1) Woher weißt du, dass er in diesen drei Tagen, wo er verschwunden war, bei seinem Bruder war? Hast du´s mit eigenen Augen gesehen? Oder weißt du´s nur von ihm bzw dem Bruder?
2) Wie begründet dein Freund dieses „Abtauchen“ und auch dass er oft so schlecht erreichbar ist?
3) Hältst du es für möglich, dass er eine heimliche Geliebte hat und der Bruder ihn deckt?
4) Fühlst du dich von deinem Freund geliebt? Wenn ja, woran machst du das fest?
5) Wie ist das Körperliche zwischen euch? (Zärtlichkeit, Sex)
Bis dann, Beatrice
Hallo Beatrice,
zu Deinen Fragen:
1) Woher weiß ich, dass er in diesen drei Tagen bei seinem Bruder war?
Damals wusste ich es von meinem Freund selbst; er meinte, er hätte keine Lust gehabt, darüber zu diskutieren, dass er einfach weg war, deshalb habe er bei seinem Bruder übernachtet. Diesmal, vor ein paar Tagen, ist er Freitag nacht weg und Montag abend wiedergekommen. Wie gesagt ging er nur mit Jogginghose, so dass mir klar war, dass er wieder drüben bei seinem Bruder und seiner Mutter war. Sonntag hatte er Geburtstag und sein Bruder kam rüber, um das Portemonnaie von meinem Freund zu holen, weil er das ja auch nicht mithatte. Da war mir klar, dass er noch ausgehen wollte. Habe den Bruder natürlich ausgefragt, er konnte mir aber nicht wirklich weiterhelfen.
Sonntag dann, nachdem die reingefeiert hatten, bin ich nachmittags zu seinem Bruder und er wusste auch nicht, wo mein Freund war. Folglich war er allein unterwegs gewesen. Naja, er hat auch versucht ihn zu erreichen, aber das Handy war nach wie vor aus.
Allerdings war es ja so, dass ich Samstag abend zufällig an dem Haus der Mutter vorbeigegangen bin (das ist hier eine Reihenhaussiedlung und mein Freund hat ein Haus, sein Bruder eins und die Mutter auch) und meinen Freund da gesehen habe. Ich habe geklingelt und da hieß es von der Mutter, er sei nicht da, das müsste der andere Sohn gewesen sein, sind ja Zwillinge. Da mein Freund aber ziemlich exzessives Krafttraining macht und sein Bruder nicht, war mir klar, dass er es war, und ich sagte der Mutter, dass ich ihn erkannt habe. Daraufhin ist sie zu ihm und sagte mir dann, er komme gleich mal rüber. Tat er natürlich nicht, da habe ich meine Sachen gepackt und wollte fahren. Hab ich letztendlich dann doch nicht, weil ich dann das Gefühl gehabt hätte, nicht alles versucht zu haben, und unter Kontrolle hätte ich da auch nichts mehr gehabt.
Montag abend kam mein Freund dann rüber zu mir. Jetzt ist alles wieder ok. Zumindest solange ich nicht an das denke, was er gemacht hat. Habe ihm erklärt, dass, egal was es war, es blöd ist, den einfachsten Weg zu gehen und einfach abzuhauen. Ich kenne den Grund und diesmal gibt es sogar einen. Ich habe ihn genervt. Habe ich auch, weil wir zur Zeit so viel zu tun haben, dass ich ihn, wenn er von der Arbeit gekommen ist, immer genervt habe, er solle mal dies und mal das machen. Und wie er es zu tun hat, habe ich ihm auch noch gesagt. Stimmt, ich bin da etwas extrem, mein Fehler. Aber kein Grund, für 3 Tage abzuhauen, während ich fast einen Nervenzusammmenbruch erleide. Er sah es halt als Grund. Haben uns darauf geeinigt, dass ich versuche mich zu bessern und er ebenso. Ob es funktioniert, weiß ich nicht, denn schließlich hat das letztes Mal schon versprochen und es hat nicht geklappt.
2) Wie begründet er dieses „Abtauchen“ und dass er oft so schlecht erreichbar ist?
Er meinte, er sei so genervt von mir gewesen, dass er mir – wenn er da geblieben wäre – Dinge an den Kopf geschmissen hätte, die er anschließend bereut hätte. Wäre mir wesentlich lieber gewesen, hätte es einen großen Knall gegeben.
Dass er manchmal bei der Arbeit schlecht erreichbar ist, versteh ich, schließlich muss er ja auch arbeiten. Dass er dann aber, wenn er sieht, dass ich versucht habe, ihn zu erreichen, nicht bei der nächsten Möglichkeit zurückruft, versteh ich nicht. Er meint dann, er habe gedacht, er mache das in ner Stunde, dann hat er es wieder verschoben und dann hätte es sich nicht mehr gelohnt, weil er ja dann eh in ner Stunde daheim wäre. Schlechte Ausrede, finde ich.
3) Halte ich es für möglich, dass er eine heimliche Geliebte hat?
Nein, das denke ich nicht. Es gibt zwar tausend Ungereimtheiten hier, nicht nur die, dass er nie da ist und sich nicht meldet, aber das glaube ich nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen und das würde alles auch noch sehr kompliziert für ihn machen, weil er ja so schon nichts auf die Reihe bekommt.
4) Fühle ich mich von ihm geliebt?
Ja, eigentlich schon.
Ich möchte eben spüren, dass er nur mich liebt und ich die bin, die er sein Leben lang gesucht hat, dass er sich auf mich freut, wenn er nach Hause kommt etc. Manchmal hat mir das gefehlt, und er meinte, dass es insofern ein wenig an mir läge, da ich eben immer so planen würde und ihm nie Zeit für sich lassen würde, und wenn ich das nicht machen würde, wäre alles besser. Seit diesem Montag habe ich versucht darauf zu achten, und es war wirklich besser.
Normalerweise mach ich ja auch keine Pläne, nur muss er viel für Prüfungen lernen, arbeiten und nebenbei noch sein Training. Alles etwas viel, habe halt nur Angst, dass wir das alles ohne meine Planung nicht schaffen, daher der volle Terminplan. Alles in allem denke ich schon, dass er mich liebt. Er ist nicht gerade der Typ, der das gut zeigen kann. Per sms lese ich öfter Gefühle, da kommt schon mal sowas wie „ich liebe Dich” oder “Du bist der wichtigste Mensch für mich“.
5) Wie ist das Körperliche zwischen uns?
Das ganze leidet vielleicht etwas durch den ganzen Stress, da einfach nicht so viel Zeit da ist, aber es ist alles ok. Habe mir ja auch schon Gedanken gemacht und ihm auch schon gesagt, dass ich Angst habe, ihm nicht all das geben zu können, wie seine vorherigen Partnerinnen das getan haben. Eben daraum, weil ich so gut wie keine Erfahrungen habe. ER meinte, dass das absoluter Quatsch wäre und alles toll so wäre, wie es ist.
Danke im voraus, Corinna
Liebe Corinna,
weißt du, was ein Kontrollfreak ist? Das ist eine Person, die so sehr den Drang hat, alles unter Kontrolle zu haben, dass sie ihre Umgebung damit unter Druck setzt, am stärksten den Partner. Die Dinge müssen so gemacht werden, wie diese Person es für richtig hält, und zwar zu dem und dem Zeitpunkt, und sie wird nervös und macht noch mehr Druck, wenn es nicht so läuft wie geplant.
Ich denke, du könntest diese Tendenz haben.
Der Partner hat damit vor allem zwei Probleme:
1) Er fühlt sich dauernd geschulmeistert und als ob die Person ihm vermittelt will, dass er sonst alles falsch machen würde, also ein Blödmann, Tolpatsch, Versager u.ä. ist. Vor allem für Männer ist das schwer zu verkraften, noch viel schwerer als für Frauen.
2) Männer wollen, stärker als Frauen, das Gefühl haben, dass sie Herr über ihr Tun und ihre Zeit sind. Wenn die Person ihnen das dauernd aus der Hand nimmt, fühlen sie sich wie in einem viel zu engen Käfig. Folge: Sie brechen aus, wann immer es geht, und entziehen sich der Kontrolle, indem sie einfach abtauchen und nicht mal telefonisch zu erreichen sind. Das ist Trotz und Freiheitsdrang zugleich.
Das Abtauchen und Nicht-Erreichbar-Sein hat noch zwei weitere Vorteile: Der Mann erspart sich Beziehungsdiskussionen (was ja die meisten Männer auch hassen), und er gewinnt ein Stückchen Macht zurück. Denn innerhalb der Beziehung reißt ja der Kontrollfreak eher die Macht an sich. Auch das finden Männer furchtbar. Viele machen dann etwas, was bei Männern sehr beliebt ist: sie reagieren „passiv-aggressiv“ – d.h., statt ihre Wut rauszulassen, werden sie passiv (z.B. Schweigen, Nichtstun, Sich-Entziehen) und an ihrer Stelle entwickelt dann die Partnerin die Wut.
Das Problem scheint bei euch bereits ein hohes Ausmaß zu haben, denn das, was da abgeht, ist schon ziemlich krass: Dein Freund meidet sein eigenes Zuhause, nur um sich dem Stress zu entziehen, den er durch dich fühlt. Er flieht geradezu, nimmt oft nicht mal richtige Klamotten oder sein Portemonnaie mit, und um dich ja nicht zu treffen, schickt er sogar seinen Bruder vorbei. Er verbringt nicht mal seinen Geburtstag mit dir, sondern feiert mit seiner Familie, die dich offenbar auch nicht dabei haben wollen. Und sie decken ihn und unterstützen ihn bei seinen Versuchen, sich dir zu entziehen. Warum tun sie das? Nicht unbedingt weil sie Familie sind – die kann sich auch mal gegen einen stellen, wenn er unrecht handelt. Nein, sie sind wohl eher der Meinung, dass dein Freund im Recht ist und Unterstützung braucht gegen seine Freundin, die ihn so sehr stresst.
Ich könnte nun sagen: Er verhält sich ja auch kacke, indem er dich einfach hängen lässt, statt dir Bescheid zu geben und dir zu sagen, was ihm nicht passt. Aber er sagt ja, was ihn stört. Er wählt dafür sehr vorsichtige Worte, und ich vermute, er sagt es vorsichtig, weil er, wenn er es so sagen würde, wie er es wirklich fühlt, von dir schon wieder „Zunder“ kriegen würde. Ich vermute, dass du ein Mensch bist, der schnell auf Hundertachtzig ist und der Streit und laute Worte nicht scheut – während er das hasst und vermeidet.
Was rate ich nun?
Ich weiß nicht, ob sich dieses Problem zwischen euch nicht schon zu tief eingegraben hat. In diesem Stadium könnte es nämlich sein, dass er schon Aktionen von dir als kontrollierend und schulmeisternd empfindet, die gar nicht so gemeint sind. Oft ist es da sehr schwer, wieder auf eine normale Ebene zu kommen. Und das würde eine sehr große Änderung bei dir erfordern. Probier´s aus, ob du das schaffst: nämlich ihn ab jetzt genau so sein zu lassen, wie er ist. Ihn die Dinge auf genau seine Art tun zu lassen, selbst wenn er sie schlecht macht (und dann die KIappe zu halten!). Nichts an ihm ändern zu wollen, sondern ihn so akzeptieren, wie er ist. Keine Verbesserungsvorschläge, kein „ich-würde-das-so-machen“, nichts dergleichen. Ihn zu nichts drängen; wenn du Hilfe brauchst und er gibt sie dir nicht von selbst, dann sieh zu, dass du es allein hinkriegst (bist doch ein schlaues Mädel) oder bitte jemand anders. Ihn nicht manipulieren, keine indirekten Botschaften („der Freund von meiner Freundin macht das ganz anders…“). Kein schlechtes Gewissen einimpfen, keine Vorwürfe, auch keine indirekten. Wenn dir etwas an seinem Verhalten nicht gefällt, dann zeig es anders als bisher. Mach es am besten wie er: geh einfach! Das kapiert er am besten.
Wenn dir das alles gelingt, dann wird er gern wieder mit dir zusammen sein, und zwar jederzeit.
Lies außerdem unbedingt das Buch „Männer sind anders, Frauen auch“ von John Gray und versuche, es umzusetzen.
Am besten auch noch dieses Buch:
«Zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Zwangserkrankungen: Therapie und Selbsthilfe».
Wenn dir die Umsetzung meiner Empfehlungen ganz oft nicht gelingt, dann brauchst du eine Therapie (was ich leider eh vermute), denn fast alle Kontrollfreaks werden im Innern von großen Ängsten beherrscht, die sie in Eigenregie nicht in den Griff kriegen.
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder