Ich befürchte, dass ich meinen Neuen furchtbar langweile und er mich bald verlässt

Ich leide seit Jahren unter dem Komplex, dass ich andere furchtbar langweile und sie vor mir fliehen, weil ich nicht aus mir rausgehen kann…

Ich bin öde und gehe nicht aus mir raus, jeder Partner langweilt sich mit mir

Hallo Beatrice,
ich glaube, ich (40) habe mal wieder einen „Beziehungskrampf“. Will heißen, ich verhalte mich meinem süßen neuen Freund gegenüber sehr unentspannt und bin in manchen Augenblicken fast schon panisch.
Wir sind seit 3 Monaten zusammen und es geht mir sehr gut mit ihm – eine Seltenheit in meiner bisherigen Beziehungs-Laufbahn. Da liefen die Dinge oft sehr schief.
Er ist ein sehr ruhiger, schüchterner Typ, dem es nicht leicht fällt, aus sich rauszugehen. Am Anfang (bevor wir zusammen kamen), hatte ich damit meine Probleme. Ich wusste einfach nicht, wie ich ein Gespräch mit ihm aufbauen sollte und fühlte mich oft überfordert. Trotzdem hat’s dann zwischen uns gefunkt und das Eis schmolz dahin und die Kommunikation wurde einfacher. Leider bin ich ganz ähnlich gestrickt wie er. Wenn ich nichts zu sagen habe, reiße ich mir kein Bein aus, um doch noch den Unterhalter zu mimen. Vielleicht ist das auch egoistisch von mir, aber ich finde den Knopf nicht, mit dem ich es ändern könnte. Dann wieder gibt es Momente, da sprudele ich nur so über. Denn im Prinzip bin ich temperamentvoll und lebenslustig und sage gerne geradeheraus das, was ich denke. Und über mich reden kann ich auch. Nur habe ich nicht immer das Bedürfnis danach. Nicht alles muss gesagt werden nur um der lieben Unterhaltung willen. Zuhören kann ich vielleicht besser.
Wo ist das Problem? Tja, in der Tat leide ich schon seit Jahren unter diesem Komplex, dass ich andere furchtbar langweile, weil ich einfach so schlecht aus mir rausgehen kann. Dass die Leute vor mir fliehen, bzw. einfach Schwierigkeiten haben, mit mir in Kontakt zu kommen, weil ich eben nicht immer ausschweifende Antworten auf Fragen gebe oder interessante Themen diskutiere (blöd bin ich nicht. Aber ich habe schon lange keine wirklichen Interessen mehr, die mein Leben bereichern. Ich fühle mich da wie gelähmt, stehe mir selbst im Weg). Es ist mir auch schon öfter gesagt worden, dass ich erst mal einen kühlen, isolierten Eindruck mache, der sich dann aber nicht bestätigt. Ach ja. Das ist fast schon eine Überzeugung. Und wenn es mich einmal gepackt hat, dann reißt es mich in einen Strudel aus Selbstmitleid und tatsächlichem Kummer, aus dem ich kaum wieder raus komme.
So ist es jetzt gerade, schon seit ein paar Wochen, in denen es mir insgesamt nicht so gut geht. Am Anfang war alles so leicht und jetzt so schwer.
Dabei bin ich in meinen Neuen verliebt. Es tut mir so gut, auch mal jemanden gefunden zu haben, der an mir interessiert zu sein scheint, gut zu mir ist. Aber wenn wir uns in letzter Zeit sehen, habe ich ihm außer blöden Floskeln fast nichts zu sagen und schäme mich dafür in den Boden. Er nimmt das gelassener hin. Mein letzter Freund hat mich dafür regelmäßig blöd angemacht (was für ein Freund!).
Klingt vielleicht doof, aber ich wäre so gern wie andere. Meine Vorstellungskraft ist da sehr stark und hat mich leider im Griff, denn ich denke immer, dass andere Paare – gerade in den ersten Wochen – sich ständig Neues erzählen, mit leuchtenden Augen und dem Verlangen, noch intensiver vom anderen mitgerissen zu werden. Was für ein Quatsch. Leben die anderen alle in einem Arzt-Roman? Eher nicht. Nur weiß ich leider nicht, wie ich mich da beruhigen, bzw. runterbringen kann. Ich habe Angst. Angst, dass er mich langweilig findet und mich verlässt, obwohl er überhaupt keine Signale aussendet, dass das bald der Fall sein könnte. Angst, dass das ein Signal dafür ist, dass wir doch nicht füreinander gemacht sind, bzw., dass im Gegenteil ich mich mit ihm langweile, und Angst, dass er auch mal eine stimulierende Unterhaltung mit seiner Liebsten führen will, obwohl er sie mir auch nicht liefert, ich das aber nie als Grund nehmen würde, ihn zu verlassen, denn er führt sein eigenes Leben und das macht ihm (und mir) Spaß. Ich sollte mir wohl auch etwas suchen, was mir Spaß macht und mich stimuliert, denn ich glaube, das ist das, was mir am meisten fehlt: aus mir rauszugehen und etwas machen, was mir gefällt und meine gedeckelten Energien freisetzt.
Ciao, Paola (40)

Hallo Paola,
du weißt ja schon selbst ganz genau, was du ändern könntest: Du hast zu wenig Interessen und machst zu wenig, über das du reden könntest.
Also versuch, all deinen Willen und all deine Kraft zusammenzunehmen, gib dir einen Ruck und mach genau das: Raff dich auf und unternimm was, geh an Dinge heran, probiere alles Mögliche aus. Und: Mach das Gleiche mit deinem Freund! Unternehmt etwas! Geht raus! Lest zusammen Bücher, seht euch Filme an, erkundet eure Umgebung und vor allem: reist! Wer reist, hat immer viel zu erzählen. Und fangt zusammen ein paar neue Hobbies an. Macht z.B. einen Kurs (Sport, Kochen, Sprache o.ä.).

Mein Rat ist, dass du eine Therapie ausprobieren solltest. Nicht nur, um deine etwas negative Einstellung und deine vielen Ängste loszuwerden. Sondern auch wegen deiner Neigung zu versteckten Depressionen. Du redest von einem „Strudel aus Selbstmitleid und tatsächlichem Kummer, aus dem ich kaum wieder raus komme. So ist es jetzt gerade. Schon seit ein paar Wochen, in denen es mir insgesamt nicht so gut geht. Am Anfang war alles so leicht und jetzt so schwer…“
Tja, meine Liebe, das ist nichts anderes als eine versteckte oder angehende Depression. Das gilt auch für deine Antriebslosigkeit und das Gefühl, gelähmt zu sein. Finde mit deinem Therapeuten zusammen die tieferen Ursachen, warum du dir selbst im Weg stehst, warum du diese Komplexe hast, warum du wiederholt einen „Beziehungskrampf“ hast, und entwickle mit seiner Hilfe effektive Lösungswege.
Vorbereitend dazu (nicht stattdessen!), damit du schneller vorankommst, empfehle ich dir die Lektüre dieser Bücher:
Wege aus dem Irrgarten der Gefühle; Seelische Vorgänge verstehen, Gefühle besser steuern

Vom Glück sich selbst zu lieben: Wege aus Angst und Depression.

Herzlichst, Beatrice Poschenrieder

(Zu diesem Brief gibt es eine Fortsetzung: «Hab ich wirklich eine versteckte Depression? Was kann ich dagegen tun?»)

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