Hab ich wirklich eine versteckte Depression? Was kann ich dagegen tun?
Sie interessiert sich für nichts mehr, fühlt sich wie abgeschnitten von der Welt, ausgeliefert, gelähmt – ist das eine Depression?
Liebe Beatrice,
vielen Dank für Deine Antwort auf meinen Brief («Ich befürchte, dass ich meinen Neuen furchtbar langweile und er mich bald verlässt»).
Du hast recht. Ich muss die Zähne zusammenbeißen und werde versuchen, etwas zu tun. Immer wieder nach etwas zu suchen, was mir Spaß macht. Alleine und mit meinem Freund.
Ich weiß auch nicht, was im Lauf der Jahre mit mir passiert ist. Ich war immer wissbegierig, neugierig, einfach lebendig. Wissbegierig bin ich auch jetzt noch. Aber früher lag da kein Tonnengewicht auf mir, das mich fast am Atmen hindert… das mir das Gefühl gibt, es gäbe ja gar nichts, wofür ich mich interessiere. Interessieren tue ich mich sehr wohl, aber ich kann mich oft nicht richtig einlassen. Fühle mich wie abgeschnitten von der Welt. Ausgeliefert. Angefangen hat das alles vor zig Jahren mit Lese- bzw. Konzentrationsschwierigkeiten. Ich konnte noch nicht mal die Überschrift eines Zeitungsartikels zu Ende lesen, da wurde ich schon total unruhig (wirklich, als ob mir die Luft wegbleibt) und musste schnell was anderes „anlesen“ oder ganz was anderes tun. Es geht mir aber nicht immer so. In den letzten Monaten (April bis August) bin ich aufgeblüht und habe gespürt, wozu ich fähig bin. Und jetzt…
Tja. Ich habe in meinem Leben schon zwei Therapien gemacht. Einmal mit 17, da war ich magersüchtig. Dann ungefähr 10 Jahre später, da war ich einfach sehr schlecht drauf und dachte, es läge daran, dass ich mit dem Studium nicht fertig wurde. Diese letzte Therapie war eine – glaube ich – systemisch ausgerichtete Gesprächstherapie. Nach 3 Jahren habe ich damit aufgehört, weil ich das Gefühl hatte, dass mir das ewige Rumreden und -denken nichts bringt.
Ich habe Angst, dass sich dieses Gefühl des Nicht-vom-Fleck-Kommens immer wiederholt, wenn sich nicht endlich was ändert, und das macht mich sehr traurig. Nur am Studium lag es jedenfalls nicht. Und ich glaube auch, dass ich in Beziehungen besonders anfällig für diese Stimmungstiefs bin. Da schaut man in innere Abgründe, die man alleine ganz gut unter den Teppich kehren kann.
Was ist denn eine „versteckte“ Depression?
Ich glaube, dass mein Freund etwas ganz Ähnliches hat. Anfang des Jahres hat man bei ihm eine Angststörung diagnostiziert. Daraufhin hat er ein paar Monate Antidepressiva genommen. Jetzt geht´s ihm besser. Psychotherapie macht er aber keine. Ach du meine Güte. Jetzt hole ich mir gleich einen Strick.
Welche Art von Therapie würdest Du mir empfehlen? Oder gibt´s nicht doch einen Weg, da alleine rauszukommen (obwohl mir diese ewigen Aufs und Abs an die Nieren gehen. Ob ich das alleine auf die Reihe kriege??)?
Viele Grüße und danke noch mal!
Paola (40)
Liebe Paola,
eine „versteckte“ Depression, damit bezeichne ich Depressionen, die nicht gleich offenkundig sind. Eine offenkundige Depression, das ist Weltuntergangsstimmung, Lähmung, Selbstmordgedanken, starker Rückzug in sich selbst, usw.; eine versteckte kommt subtiler daher, sie zeigt sich in gewissen Anzeichen, wie ich sie auch bei dir benannt habe (bzw die du mir genannt hast).
Diese Art von Depression hat oftmals sehr viel zu tun mit
1) mangelnder Selbstliebe (bzw der Überzeugung, nicht „liebens-wert“ zu sein),
2) mit einer gewissen daraus erwachsenden Selbstverachtung und einer Wut gegen sich selber und gegen andere (z.B. die Eltern) und dem Glauben, „ich verdiene es nicht, dass es mir gut geht“.
All dies ist oft unterbewusst und wird zum Teil unterdrückt, kommt aber u.a. dadurch zum Vorschein, dass man sich selber im Weg steht und Dinge tut, die einem selbst direkt oder indirekt schaden.
Deshalb ist eine Therapie gut, in der man lernt, sich selbst anzunehmen und zu lieben und zu achten. Wenn man sich selbst achtet, tut man von selbst Dinge, die einem (und anderen) gut tun, und vermeidet Dinge, die einem schaden – egal ob das auf seelischer oder körperlicher Ebene ist.
Apropos körperlich:
Viele Menschen mit depressiven Neigungen „sorgen“ nicht nur indirekt dafür, dass es ihnen seelisch schlecht geht, sondern auch körperlich, z.B. indem sie ungesund leben: zu wenig Bewegung, zu wenig Schlaf, ungesundes und unregelmäßiges Essen, zu viel Zigaretten/ Alkohol / Süßes etc.
Aber hier ist es relativ leicht, anzusetzen. Du kannst dir vornehmen, wenigstens zwei Tage lang etwas Gutes für deinen Körper zu tun, z.B. jetzt sofort rauszugehen und einen energischen Spaziergang zu machen; danach kaufst du lauter gesunde Sachen ein, Obst und Gemüse und Vollkornbrot, und machst dir einen wunderbaren gemischten Salat oder ein Gericht mit Gemüse (z.B. einen reichhaltigen Eintopf).
Du wirst sofort merken, dass es dir ein Stück besser geht, zumindest für den Rest des Tages.
Kauf dir ein Buch mit Yoga-Übungen und mach sie jeden Morgen beim Aufstehen und evtl nochmal abends beim Fernsehen.
Wirf alle ungesunden Sachen aus deiner Wohnung, befreie dich überhaupt von allem Ballast aus deiner Wohnung.
Mach das und atme tief durch.
Sorge dafür, dass du viel Licht bekommst. Geh jeden Tag mindestens eine Stunde raus. Geh morgen bei einer Drogerie oder Apotheke vorbei und kauf dir Johanniskraut-Tabletten – das ist ein Kraut, was auf natürliche Art die Stimmung aufhellt. Der Effekt tritt aber oft erst nach ein paar Wochen der Einname ein.
Allerdings ist das kein Ersatz für eine Psychotherapie, sondern schafft eine gute Grundlage, dass es dir schneller besser geht. Sprich, ich empfehle dir wärmstens, möglichst schnell eine neue Therapie zu suchen und anzufangen.
Wenn diese letzte Psychotherapie nicht geholfen hat, obwohl du sie drei Jahre lang gemacht hast, war entweder die Therapie-Form die falsche oder der Therapeut (oft auch beides).
Mach ein paar Probe-Termine bei verschiedenen Therapeuten und versuch`s mit dem, wo du das beste Gefühl hast. Psychoanalyse und Verhaltenstherapie würde ich dir nicht empfehlen, sondern eher eine/n Therapeutin/en, die/der u.a. Gesprächspsychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP) und die kognitive Therapie in petto hat.
So… nun hoffe ich, dass ich dir einige Anstöße geben konnte… und dass du sie auch umsetzt! 🙂
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder