Bin ich wegen seiner kühlen wortkargen Art so fixiert darauf, sein Herz zu gewinnen?

Finde ich ihn so attraktiv und will unbedingt eine richtige Beziehung mit ihm, weil ich ihn bewundere und weil ich ihn nie ganz haben kann?

Er reizt mich, weil er wortkarg und unterkühlt ist, ich will ihn ganz haben

Hallo Beatrice,
seit vorgestern herrscht in meinem Kopf ein Riesenchaos… Ich habe seit etwa einem Jahr einen Freund (42 J.) bzw. es ist wohl mehr eine “Freundschaft plus”. Unser Beginn war nicht ganz gelungen. Ich kam gerade aus einer fünfeinhalbjährigen Beziehung mit jemandem, der mir extrem viel bedeutet hat. Das Schlussmachen und das Hals-über-Kopf in die neue Sache stürzen überschnitten sich leider etwas. Ich bin mit dem Neuen also kurze Zeit später zusammengekommen. Erst waren wir beide sehr verknallt, dann ging es etwas hin und her. Seine Gefühle waren plötzlich abgeflaut, und eines Nachts, als ich überraschend vor seiner Tür stand, verhielt er sich irgendwie ambivalent. Hielt mich einerseits minutenlang einfach nur ganz fest im Arm, um mir dann aber kurze Zeit später zu sagen, dass er mich nur mag und Mögen nicht reicht für eine Beziehung. Ich hab dann zwar bei (nicht mit) ihm geschlafen, ging dann aber davon aus, dass es das war. Seine Worte waren schließlich deutlich gewesen.
Er meldete sich danach aber doch wieder und so konnte ich nicht widerstehen mich darauf einzulassen. Wir begannen uns regelmäßig zu sehen (2-3mal die Woche), wir harmonieren im Bett sehr gut. Hatten aber nicht nur Sex, sondern haben auch Dinge zusammen unternommen. Als er im Sommer längere Zeit im Ausland war, um zu arbeiten, vermissten wir uns sehr, so dass ich sogar zu ihm flog – und wir hatten wunderschöne Tage zusammen.
Seitdem waren wir auch offiziell ein Paar. Ich lernte seine Familie kennen, seine Freunde, wir waren schon mehrmals im Urlaub zusammen. Nun kann ich nicht sagen, dass ich völlig zufrieden bin. Wir haben ein Problem im Alltag: Wir sprechen zu wenig miteinander. Wir können gut über ernste Probleme zwischen uns sprechen, aber im Alltag hakt es. Er hat da eine andere Art von Kommunikation als ich. Oberflächlichkeiten interessieren ihn nicht. Wenn ich ihn beispielsweise nach seinem Tag frage, ist er sehr kurz angebunden, weil er sagt, dass es ihn selber nicht mal interessiert, was er arbeitstechnisch für „Zeug“ erledigt hat. Es ist ihm kein Gespräch wert. Er sagt, er findet durch andere Themen heraus, wie es Leuten geht, und will mehr in die Tiefe (obwohl er mir recht gibt, wenn ich sage, dass man nicht ausnahmslos und den ganzen Tag nur tiefschürfende Gespräche führen kann). Allerdings fragt er mich eben auch sehr selten nach anderen Dingen. Wir versuchen gerade herauszufinden, warum es dort hakt, wissen es selber beide nicht so recht, wir sind nämlich mit anderen Freunden beide keine schweigsamen Typen (ich schon gar nicht). Es gibt noch mehr Dinge, die mich stören, z.B. er tanzt (Paartanz), hat aber aus irgendeinem Grund kein Interesse, dass ich dorthin mitkomme und das auch lerne.
Jedenfalls war er vorgestern noch schweigsamer als sonst und nicht so gut drauf. Auf mein mehrmaliges Nachfragen hin sagte er dann, er wisse selbst nicht so recht, was mit ihm los sei, er fühle sich so leer und mit nichts verbunden. Nicht mit mir und auch mit nichts anderem. Das hat mich schon getroffen, klang aber erst etwas nach einer Midlifecrisis, einer kleinen Depression oder etwas ähnlichem. An dem Abend war er dann noch tanzen, und als er zurück kam, schlief ich schon (bei ihm zuhause). Am nächsten Morgen hing dann im Raum, dass wir reden müssen, und so fragte ich, was er bzw. wir nun unternehmen wollten wegen seines Gefühlszustands. Dann sagte er mir, dass wir ja seit einem Jahr einfach schauen würden, was aus uns wird, aber dass es sich nicht so entwickelt habe, wie wir es uns gewünscht hatten. Er sagte, dass er mich unglaublich toll finde, dass ich so positiv wäre, so fröhlich, so verliebt in ihn. Er habe nichts an mir auszusetzen, gar nichts. Und wenn er nach seinem Kopf gehen würde, müsste er mich eigentlich sofort heiraten, weil ich so eine tolle Frau sei. Aber er sei nicht verliebt in mich (!). Dieser Unterschied zwischen meinem Verhalten ihm Gegenüber und seinem mir gegenüber wäre auch das, was ihm jetzt so zu schaffen machen würde (ich bin, wenn ich in einer Beziehung bin und halbwegs glücklich, sehr fröhlich, umarme und küsse meinen Partner viel, weil ich ein sehr körperbetonter Mensch bin). Er bezeichnet seine Gefühlslandschaft als ostfriesisch – am Anfang der Beziehung, als es noch mehr Affäre war, sagte er auch mal, dass er das Gefühl habe, ein Eisklotz zu sein, und dass er gar nicht wisse, ob er überhaupt noch tief empfinden könne. (Er war davor fünf Jahre Single).
Meine erste Reaktion waren Tränen, ich wollte gehen und sagte ihm, dass ich nicht mit jemandem zusammen sein will, der mich nicht aufrichtig liebt, und dass es ja dann keinen Zweck hätte, wenn er nicht in mich verliebt sei. Er bat mich dann aber, noch nicht zu gehen, und sagte, dass er es trotzdem nicht wegwerfen wolle, was wir haben. Das wunderte mich. Ich blieb und er sagte, wenn ich einverstanden wäre, könnten wir etwas ausprobieren. Das sähe so aus, dass wir uns nach wie vor ein- zwei Mal die Wochen treffen würden, nur um zu reden. Kein Sex, kein Fernsehen, kein kochen usw. Nichts, was von dem Problem der mangelnden Kommunikation ablenken würde. Ich sagte erstmal zu, aber dass ich nochmal darüber nachdenken müsse.
Er sagte dann auch noch, dass er nicht sicher sei, ob man verliebt sein müsse, um eine schöne Beziehung zu führen. Er habe das früher auch anders gesehen, jedoch hätten ihm damals schon regelmäßig Freunde widersprochen, und wenn er jetzt zurückblickt, wäre es so gewesen, dass, je verliebter er war, umso schneller auch die Beziehung in die Brüche gegangen wäre (und verrückterweise war das bei mir ähnlich, wenn da auch diese eine sehr lange Beziehung war, in der ich durchaus verliebt war). Ich konnte mich erst überhaupt nicht mit diesem Gedanken anfreunden… eine Beziehung, ohne verliebt zu sein?
Seitdem dreht sich mein Gedankenkarussel und ich weiß inzwischen gar nichts mehr. Ich bin zwischendurch schon traurig, hatte aber schon weit schlimmeren Liebeskummer und frage mich deshalb, was ich eigentlich empfinde. Ich kann gerade nicht mal mit Sicherheit sagen, ob ICH richtig verliebt bin. Ich war am Anfang sehr verknallt, aber das ist eben auch schon eine Weile her. Ich weiß nur, dass ich ihn sehr gern habe und traurig werde beim Gedanken, ihn vielleicht schon bald nicht mehr regelmäßig zu sehen. Es ist aber nicht so, dass ich den ganzen Tag Rotz und Wasser heule, und ich weiß auch, dass mich die mangelnde Kommunikation im Alltag ebenso stört wie ihn.
Mir kam auch schon der Gedanke, ob ich vielleicht nur wegen seiner eher kühlen Art so fixiert darauf bin, sein Herz zu gewinnen, und vielleicht der Reiz weg oder deutlich gemindert wäre, wenn er plötzlich auch so zu mir wäre wie ich es zu ihm bin.
Oder kann ich einfach nur schlecht allein sein und will deshalb nicht loslassen? Wie gesagt, es gibt durchaus Dinge, die mich an ihm stören. Ich vergleiche ihn manchmal ungewollt mit meinem Ex-Freund, der natürlich auch nicht perfekt, aber in vielerlei Hinsicht sehr viel rücksichtsvoller und mehr Gentleman als der aktuelle Freund war. Ich vermisse meinen Efreund auch manchmal noch, weil er einfach über fünf Jahre nicht nur mein Partner, sondern auch mein bester Freund war. Das kann ich über den Jetzigen nicht sagen.
Andererseits ist da dieses Gefühl der Bewunderung. Er macht so viele tolle Dinge, macht beruflich z.T. das, was ich auch gern gemacht hätte, und wir haben sehr viele gemeinsame Interessen. Er ist sehr gebildet. Alles Dinge, die auch nicht so leicht zu finden sind bei einem Mann. Ist er so attraktiv für mich, weil ich ihn bewundere und weil ich ihn nie ganz haben kann? Ich mag aber auch seine Augen und sein Lächeln unheimlich gern, und wie gesagt, im Bett passt es super.
Ich weiß, dass es keine Patentlösung für mein Problem gibt. Ich wüsste nur einfach gern, was eine Paarberaterin wie Du über die Sache denkt.
Herzliche Grüße, Céline (33)

Beatrice Poschenrieder, Cover Buch Mister Aussichtslos
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Liebe Céline,
du schreibst:
“Ich konnte mich erst überhaupt nicht mit diesem Gedanken anfreunden… eine Beziehung, ohne verliebt zu sein?”
Naja, die allermeisten Paare führen eine Beziehung, ohne verliebt zu sein, denn das ist man ja eh nur am Anfang (manche nicht mal das).
Und das, was manche sich unter Verliebtsein oder „tiefer Liebe“ vorstellen, besteht oft zum größten Teil nur aus (eher unbewussten) Ängsten und/oder emotionaler Abhängigkeit. Siehe auch
Kann es auch ohne Schmetterlinge und Kribbeln Liebe sein?

Du fragst dich, “ob ich vielleicht nur wegen seiner kühlen Art so fixiert darauf bin, sein Herz zu gewinnen… Oder kann ich einfach nur schlecht allein sein und will deshalb nicht loslassen? … Er macht so viele tolle Dinge, macht beruflich z.T. das, was ich auch gern gemacht hätte, und wir haben sehr viele gemeinsame Interessen. Er ist sehr gebildet. … Ist er so attraktiv für mich, weil ich ihn bewundere und weil ich ihn nie ganz haben kann?”
Ich schätze mal, ein bisschen von jedem?
Das macht aber auch nichts. Das Wichtigste ist, dass du ihn sehr gern hast und ihn nicht mehr missen möchtest – das reicht m.E. durchaus für eine Art Beziehung. Ist es denn so wichtig, dass es „eine richtige Beziehung“ ist, so wie die Gesellschaft sich das vorstellt? Könnt ihr beide nicht einfach das genießen, was zwischen euch passt, statt euch zu sehr auf das zu fokussieren, was im landläufigen Sinn nicht so gut passt? Ich finde z.B. seinen Unwillen gegen oberflächliche Gespräche und Geplapper gar nicht schlimm, sondern nachvollziehbar. Wäre es nicht entspannter für euch beide, das einfach zu akzeptieren und weiterzumachen wie bisher, mit gutem Sex und gemeinsamen Aktivitäten?

Du schreibst:
“Wie gesagt, es gibt durchaus Dinge, die mich an ihm stören. Ich vergleiche ihn manchmal ungewollt mit meinem Ex-Freund, der natürlich auch nicht perfekt, aber in vielerlei Hinsicht sehr viel rücksichtsvoller und mehr Gentleman als der aktuelle Freund war. Ich vermisse meinen Ex-Freund auch manchmal noch, weil er einfach über fünf Jahre nicht nur mein Partner, sondern auch mein bester Freund war. Das kann ich über den Jetzigen nicht sagen.”
Da frag ich mich natürlich, warum du nicht versuchst, deinen Ex wiederzugewinnen…?? Falls das ausgeschlossen ist, dann lass ihn los und freu dich über deinen interessanten Liebhaber.

Bitte lies dazu unbedingt diese Texte:

Er verhält sich unverbindlich – kann man Verbindlichkeit lernen?

Haben wir nur was Lockeres, eine Sexgeschichte oder schon eine Beziehung?

Ab wann ist es eine richtige Beziehung?

Ich lechze nach Liebe, mein Freund ist gefühlskalt – wie kann ich ihm helfen?

Wir sehen uns oft, haben Sex – sie will von Anfang an eine Beziehung, ich nicht

Will er nur Sex von mir, aber keine Gefühle vorspielen, hält sich deshalb bedeckt?

Kann er lernen, mich zu lieben?

Herzlichst
Beatrice Poschenrieder

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