Er ist bindungsunfähig! Wie kann ich Anziehung und Wut loswerden?
Er suchte immer wieder Nähe und Intimität, aber wollte keine Beziehung und stand nicht zu ihr. Sie investierte viel zu viel Mühe und Gefühle in ihn
Liebe Beatrice,
durch Dein Buch „Mister Aussichtslos“, das mir in einer Buchhandlung wie gelegen in die Hände fiel, wurde ich auf deine Beratung aufmerksam. Das Buch hat mir sehr geholfen, denn ich bin in einer Situation des Loslassens nach einer „Beziehung“, die mir nicht gut getan hat. In der gab es zwar auch viel Spaß, guten Sex, sehr ähnliche Lebenswünsche, aber alles ohne Fundament…
Mein Mister Aussichtslos war oder ist wohl eine Mischung aus Egon (Egoist) und Fred (bindungsunfähig), Kapitel 2 und 5 in Deinem Buch. Er wollte nicht zu mir stehen, keine offizielle Beziehung, aber hat Innigkeit, Nähe und Intimität immer wieder gesucht, nahezu täglich angerufen, mich am Telefon festgehalten, wenn ich das Gespräch beenden wollte… Ich habe ihn wissen lassen, dass ich ihn liebe, habe viel (zu viel wahrscheinlich) investiert, um schöne Situationen zu schaffen in der Hoffnung, sein Herz zu öffnen – dennoch auch immer wieder artikuliert, dass ich eine Beziehung will und dass es ohne das nicht so weiterginge; er wiederum, dass er dies nicht wolle, die Karten waren also beidseitig offen. Nach acht Monaten Gezerre – Stop and Go – habe ich ihm endgültig Adieu gesagt. Habe keine Anrufe und Emails (ohnehin spärlich) mehr beantwortet, Abstand gehalten.
Ich weiß, er hat mich benutzt und ich habe dies zugelassen. Wie böse darf man jemandem sein, wenn man Mittäterin war und entdeckt hat, dass im eigenen Lager wohl eine Beziehungsabhängigkeit vorlag. Ich bin ziemlich verletzt, möchte aber meinen Teil der Verantwortung tragen und möglichst bald meine Ruhe wieder finden, d.h. nicht zu viel Zeit mit „zornig sein“ verplempern. Ich kenne diesen Mann schon seit 8 Jahren, wir waren gut befreundet. Er ist einer von diesen großen Schweigsamen, die viel mit sich ausmachen. Dennoch hat die Freundschaft auf ihre Art ganz gut funktioniert, im Sinne von „Interesse am Wohlergehen des Anderen“ haben und sich dafür einsetzen. Das macht es doppelt schwer, los zulassen.
Zwei seiner vorherigen Beziehungen habe ich miterlebt und weiß eigentlich, dass beide Freundinnen früher oder später emotional am ausgestreckten Arm verhungert sind, weil er nur sein Ding durchgezogen hat. Ich war so blind verliebt, dass ich dachte, ich könnte diesen Mann „knacken“. Welche Illusion!
Was tun mit der Verletztheit, dem Zorn und der Eigenverantwortung?
Liebe Grüße, Selina (39)
Liebe Selina,
freut mich sehr, dass dir mein Buch ein bisschen helfen konnte!
Die Frage ist erst mal: Hat er dir teils was vorgemacht? War er unaufrichtig oder hat wichtige Dinge verschwiegen, um sich deine Zuneigung zu erhalten? Wenn ja, hast du guten Grund, böse zu sein. Schreibe alles auf, was er in der Hinsicht getan hat, was du noch weißt, und dann schreibe ihm einen saftigen Brief. Tu deine ganze Wut hinein, vielleicht auch darüber, dass ein Typ wie er seit Jahrzehnten rumläuft und Frauen unglücklich macht, statt seine verkorkste Seele mal auf eine Therapeuten-Couch zu schwingen.
Überlege, ob es dir helfen würde, wenn du den Brief absendest oder dich sogar mit ihm triffst, um ihm das alles persönlich zu sagen. Wenn ja, dann tu es ruhig. Das wird nicht nur dich befreien, sondern vielleicht auch ein paar Frauen das Unglücklichsein ersparen.
Falls er dir aber von Anfang an nichts vorgemacht hat, dann kann man wirklich nicht davon sprechen, dass er dich „benutzt“ hätte. Dann liegt es tatsächlich in deiner Eigenverantwortung. Bzw. kann man das nicht ganz so sehen, sondern man kann sagen: Da ist etwas in dir, was dich dazu trieb, dich in eine recht einseitige und leidensvolle Beziehung zu begeben. Letztlich kannst du die Verletzung und den Zorn sowie die Gefahr, sowas nochmal zu erleben, am besten loswerden, indem du an die Wurzeln gehst – in deiner eigenen Biografie.
Meiner Erfahrung nach ist es so: Wenn eine Frau wiederholt oder auch allzu lange versucht, einem widerspenstigen Mann Liebe abzuringen, hat das fast immer mit einem Mann zu tun, der ihr früher zu wenig Liebe gab (oft ist es Vater oder Mutter). Was war es bei dir? Finde es raus und mach deine Abrechnung oder auch deinen Frieden mit dieser früheren Person.
Herzlichst, Beatrice
Liebe Beatrice,
vielen Dank für Deine Antwort!
Du fragst, hat er mir etwas vorgemacht? Ich weiß nicht: er hat mir verbal nichts vorgemacht, aber immer wieder aktiv meine Nähe, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit, Sex gesucht, wohl wissend, dass mein Herz in der Sache hängt und ich schwach bin, weil verliebt. Ist das okay, oder nicht okay? Er sagt, er sei einfach auch schwach gewesen.
Am zweiten Aspekt, dass mich etwas dazu treibt, mich in eine einseitige Beziehung zu begeben, ist sicher auch etwas dran. Mein Vater war genau so ein großer, schweigsamer Mann zum einen. Außerdem war da noch ein gewisser Grad an Bewunderung für diesen oben beschriebenen Mann (Intelligenz, Charme und Lebensstil, den ich in meiner Familie gesucht und nicht gefunden habe), die für mich diese Attraktivität ausmachte. Inzwischen weiß ich bei diesem zweiten Punkt, dass ich meinen Kriterienkatalog, einen Mann auszuwählen, besser ändere und lieber danach schaue, ob mir der Mann gut tut, mich wertschätzt – als danach, ob mir die Äußerlichkeiten gefallen.
Beim ersten Punkt oben (okay oder nicht?) bin ich unsicher, zu welchem Schluss ich kommen soll. Was meinst Du dazu?
Herzliche Grüße zurück,
Selina
Liebe Selina,
ich fürchte, du kannst diesem Mann nicht wirklich was vorwerfen, denn er hat dir wohl nichts vorgemacht. Siehst du, fast alle Menschen streben nach Nähe, Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit und Sex, selbst die, die keine feste Bindung wollen. Und er hat das selbe ja auch dir gegeben, also Nähe, Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit und Sex – zwar nur punktuell, aber im Prinzip war es ein fairer Deal. Zumindest aus seiner subjektiven Sicht. Und er gibt ja sogar zu, dass er selber „einfach auch schwach“ war. Also hast du ihm offenbar schon ein wenig die Leviten gelesen und er hat sich mit diesem Eingeständnis ein wenig dafür entschuldigt. Das ist ja schon mal was!
Wenn es dir hilft, dann teile ihm trotzdem deine Wut und Enttäuschung mit – vielleicht mit der Argumentation „wohl wissend, dass mein Herz in der Sache hängt, und ich schwach bin, weil verliebt“. Allerdings besteht dann auch die Gefahr, dass er dich abbügelt mit dem Gegenargument, dass er dir nie was vorgemacht hat, und du dann noch wütender bist.
Entscheide nach deinem Gefühl. Vielleicht hilft es dir auch, ganz konzentriert nach vorn zu schauen – für dich selber feste Regeln und Maßstäbe aufzustellen, welche Sorte Mann du in Zukunft in deine Arme und dein Herz lassen willst, ihn vorher gut kennen zulernen usw. Weißt du ja alles selber, hast ja schon damit angefangen, und die „Goldenen Regeln“ am Ende meines Buches können dir da immer wieder eine Erinnerungshilfe sein.
Tja und wie gesagt: nach den Wurzeln graben. Das hilft auch. Ein bisschen hast du ja schon ausgegraben, aber da gibt es bestimmt noch einiges, was tiefer liegt oder sich noch nicht ganz deinem Bewusstsein entfaltet. Mir hat sehr geholfen, mit meinen Geschwistern über meine Eltern zu sprechen und Kindheitserinnerungen auszugraben, auch alte Fotos genau unter die Lupe zu nehmen.
Bitte schau dir auch meine YouTube-Videos zu „Mr. Ausichtslos“ (siehe unten) an und ganz unten die „Verwandten Beiträge“!
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder