Harmonische Beziehung, nur Reden und Sex klappen nicht

Wir reden weder über Sex noch über unsere Konflikte, er reagiert sexuell nicht auf mich, befriedigt mich nicht – aber sonst alles tutti!

Wir haben keinen Sex und keine Kommunikation

Liebe Beatrice,
ich stecke in einer emotionalen Klemme. Seit nun fast einem Jahr habe ich (26) einen liebenswerten Freund (28). Wir sind uns in vielen Dingen sehr ähnlich, gleichzeitig scheinen wir stets aneinander vorbeizureden. Das Problem ist, wir reden eigentlich kaum miteinander, denn mein Partner scheint von „sich mitteilen“ nicht viel zu halten.
Wir beide kommen aus Familien, in denen sehr viel gestritten wurde, nicht dass unsere Eltern nicht liebevoll gewesen wären – aber der ewige Streit! Mein Partner vermeidet darum jede Art von Konflikt, auch jeden potentiellen, so dass alles, was zwischen uns geredet wird, in einem Witz oder einer Albernheit endet. Am Anfang fand ich gerade diese lustige Art so anziehend, besonders weil es einen schönen Gegenpol zu meiner ausgeprägten Ernsthaftigkeit darstellt.
Inzwischen frustriert mich der Zustand, denn um ein ernsthaftes Gespräch zustande zu bringen, muss ich genaustens seinen Gemütszustand studieren, ich muss die Situation richtig abpassen und dann auch noch jedes Wort 1000 Mal vorher überlegen, bevor ich es sage. Der Grund ist, wenn ich Dinge besprechen will, die unangenehm sind und vor allem solche, die unsere Beziehung betreffen, wird er meistens so emotional, dass er anfängt zu weinen. Ich meinerseits kann nicht mit weinenden Männern umgehen – es war mir bei meiner Erziehung gerade mal so verzeihlich gewesen, wenn ich weinte, da ich ja ein Mädchen war, aber ein Junge, geschweige denn ein Mann, oh je… Wie auch immer, ich komme mir dann auf einmal sehr gemein, undankbar und unsensibel vor.
Das zweite Problem ist unser Sexleben. Und dieser Bereich macht mir besonders zu schaffen. Angesichts meines Elternhauses, das mit seinem Erziehungsstil etwa 50 Jahre hinterher ist, stand ich den sexuellen Dingen nicht besonders offen gegenüber. Ich verdanke es der Erfahrung sowie dem ausgeprägtem Feingefühl von meinem ersten Exfreund und der unbeschreiblichen Offenheit meines letzen Ex, dass ich endlich bereit war, mich auf diesem Gebiet soweit zu öffnen, dass mir Sex endlich anfing Spaß zu machen. Mit meinem Ex hat´s da von Anfang an gestimmt. Wir mussten in Bett nicht reden und wenn wir es taten, dann machte es uns beide noch mehr an.
Nun stecke ich in einer Beziehung mit einem Menschen, den ich liebe, der aber keinerlei sexuelle Reaktion auf mich zeigt. Wenn er überhaupt mit mir schlafen will, dann so einmal die Woche, und dann geht nach einem Mal auch nichts mehr. Die einzige Möglichkeit, ihn scharf zu kriegen, ist außerdem reine Handarbeit. Da läuft einfach nichts mit Reizwäsche, Flirten oder Ähnlichem. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass die Tatsache, dass er auf mich kaum „REAGIERT“, mir ein Minderwertigkeitsgefühl als Frau vermittelt. Er argumentierte nur, er kann das doch nicht befehlen und er habe nun mal kein so ausgeprägtes Bedürfnis.
Die echten Schwierigkeiten fangen dann beim eigentlichen Sex an. Ich weiß einfach nicht, wie er mich befriedigen soll. Für mich gehört zu einem erfüllten Verkehr nun mal Oralsex, für ihn ist das ein absolutes TABU, NEIN; NIENTE! Und sein Argument ist sowieso das Größte: er findet es einfach eklig. Gut, dass er mit mir während meiner Periode nicht schlafen will, kann ich irgendwie noch verstehen. Aber wie soll ich mit einem Mann Spaß im Bett haben, der so ziemlich alles, was vom Blümchensex abweicht (und was meinen Körper – oral, Küssen im Intimbereich oder auch ausgedehnte Zungenküsse – betrifft) als eklig empfindet. Er findet es sogar unangenehm, wenn ich ihm zum Spaß die Zunge rausstrecke oder verspielt etwas mehr als nur die Zungenspitze über meine Lippen kreisen lasse.
So nach und nach fühle ich einfach, wie sich mein Körper ihm gegenüber verschließt, so dass mich seine Berührungen auch nicht mehr anmachen, manchmal verursachen sie leider sogar genau das Gegenteil.

Emotional habe ich das Gefühl ausgesaugt zu werden. Da schaltet sich dann aber mein Gehirn ein und sagt mir, dass es nicht so ist. Schließlich wohne ich bei ihm und er unterstützt mich finanziell und seelisch bei meiner monatelangen vergeblichen Jobsuche, er ermöglicht es mir, nicht mehr bei meinen Eltern leben zu müssen, und erträgt meine Launen, die ich zwar versuche so gut es geht zu unterdrücken, aber bei der momentanen Situation wird es einfach immer schwieriger. Ich bin sexuell frustriert, denn nachdem ich versucht habe herauszufinden, was ihn anmacht, bin ich einfach gescheitert, er kann sich mir einfach nicht mitteilen – und seine Verschlossenheit macht es auch für mich immer schwieriger, ihm zu kommunizieren, was ich möchte. Am Anfang habe ich es versucht, aber die meisten meiner Vorschläge liefen auf absolute „NO-s“ heraus. Einiges hatte er dann versucht umzusetzen und er gab sich auch wirklich Mühe, aber es hat bei mir überhaupt nichts bewirkt – bei meinem Ex hatte nur die Andeutung von Küssen auf meine Haut mich bereits fast zum Explodieren gebracht.
Diese sexuelle Unzufriedenheit hat nun unmerklich dazu geführt, dass ich immer häufiger an meinen Ex denken musste. Und plötzlich fing ich an, ihn zu vermissen, aber es war nicht vorrangig der Sex, den ich vermisste.
Hier setzt dann die nächste Stufe meines Dilemmas an. Mein Ex und ich haben auf dem Höhepunkt unserer Beziehung miteinander Schluss gemacht. Wir hatten beide noch bei der Trennung sehr starke Gefühle füreinander. Allerdings trennt uns ein Kontinent und ein Ozean, und mein EX fühlte sich damals (und auch heute noch) nicht bereit dazu, sich an mich fest zu binden und für mich Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn ich versucht habe ihm zu verstehen zu geben, dass ich kein Säugling bin und sehr wohl für mich selbst sorgen kann, ist er nun mal der festen Überzeugung, dass wenn ich seinetwegen meine Familie und meine Freunde zurücklasse und in einem fremden Land alleine bin, muss er sich sicher sein, dass er dieser Verantwortung für mich gewachsen ist. Ich liebe meinen Ex und ich vermisse ihn wahnsinnig und ich weiß, dass wenn ich jetzt nicht hier, sondern in seiner Stadt leben würde, dann wären wir jetzt auch wieder glücklich zusammen. Ich weiß das deshalb, weil meine Schwester nun mal mit dem Bruder von meinem Ex zusammen ist und da kommt so was auch an meine Ohren.
Ich bin glücklich mit meinem aktuellen Partner, meistens zumindest, wir lachen sehr viel und wir haben ein sehr harmonisches Leben. Aber wenn er mal einmal in der Woche einen ungeschickten Versuch unternimmt mich zu verführen, dann kommen die ganzen Probleme wieder hoch. Noch schlimmer ist es, wenn ich eine starke sexuelle Lust verspüre und zwar so enorm, dass ich einfach nur Lust auf eine schnelle Nummer hab, dann komme ich mir nur schäbig vor, denn dann habe ich das Gefühl, meinen Partner zu benutzen. Außerdem ist es so, dass wenn ich meine Augen schließe und ans Älterwerden denke, dann nimmt das Gesicht von meinem Freund auf einmal die Züge von meinem Ex an und unsere Wohnung verwandelt sich in ein kleines mir so vertrautes Häuschen 1000e von Meilen von hier entfernt.
Wenn ich mit meinem Ex chatte (Telefonieren traue ich mich einfach nicht), dann schlägt mein Herz Purzelbäume. Dabei war unsere Beziehung viel turbulenter, ständig gab es Trouble wegen Sprach- und Kulturdifferenzen, aber wir haben wenigstens miteinander geredet und auch manchmal gestritten, aber das gehört doch dazu, oder?? In der Nähe von meinem Freund fühle ich mich sehr wohl, behaglich und aufgehoben. Wir streiten uns nie und wenn doch, dann geht es von mir aus und mein Freund glättet die Wogen, ohne dass der Konflikt gelöst wurde. Und dieses Verhalten kann und will er auch nicht ändern, denn er will auf keinen Fall so enden wie seine Eltern „im ewigen Streit“.
Ich fürchte allerdings, dass er mit mir und diesem Verhalten genau dahin steuern wird. Denn die Ursache jeden Streites in meinem Elternhaus waren die nicht rechtzeitig gelösten Konflikte, die dann eruptionsartig alle auf einmal ausbrachen und zu einem Streitorkan ausarteten.
Zum Schlussmachen habe ich einfach nicht die Nerven – vielleicht auch nicht die Möglichkeit, denn ich bin wie gesagt auch finanziell von meinem Freund abhängig. Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass ich den nötigen Schritt wagen kann, sobald ich einen Job habe. Und dann beschleicht mich gleich wieder das schlechte Gewissen in Kombination mit der Überlegung: „Du hast einen so tollen Freund und so eine harmonische Beziehung, zu deinem Ex kannst du nicht, zumindest nicht so bald, und wer weiß, ob er dann nicht eine andere hat, und bist du dir sicher, dass du je wieder einen so liebenswerten Menschen wie deinen Freund triffst? Kann dir Sex und Reden wirklich soviel bedeuten, dass du das alles hinwerfen möchtest?“
Diese Fragen quälen mich immer und immer wieder. Inzwischen kann ich nur noch mit Beruhigungstee einschlafen und den Tag mit Johanniskrauttabletten überstehen und ständig wühlt diese Unruhe in mir.
Bin ich denn ein so schrecklicher Mensch? Ich finde einfach nicht zu mir, obwohl ich genau weiß, was ich will. Das Problem ist nur, dass ich es mir nicht leisten kann, und daraus resultiert dieser Gewissenskonflikt. Ich brauche einfach die Meinung eines unbeteiligten Außenstehenden. Mit meinen Eltern kann ich das nicht diskutieren, sie mögen meinen Freund sehr und sind der Meinung, ich soll endlich erwachsen werden und aufhören nach Abenteuern zu suchen. Mit meiner Schwester rede ich zwar darüber, aber sie ist voreingenommen. Sie hat eine geradezu erschreckend identische Geschichte durchgemacht. Und ist zu ihrem jetzigen Freund, der auch vorher ihr EX war, zurückgekehrt, nachdem sie sich von ihrem letzten Freund wegen sexueller Unstimmigkeiten getrennt hat. Sie sagt, dass meine Beziehung so viele Parallelen zu ihrer letzen aufweist.
Dazu kommt noch, dass mein Ex der Bruder von ihrem jetzigen Freund (vormals auch Ex) ist und dass sie uns damals verkuppelt hat, da sie der festen Überzeugung war, dass wir einfach bestens zu einander passen. Verdammt und das tun wir auch. Das Problem ist, mein Ex und ich hatten nie die Chance, uns richtig kennen zu lernen, so wie meine Schwester und ihr Freund. Mein Ex braucht jedoch diese länger anhaltende Phase des physischen Zusammenseins, des sich Treffens, während man noch in unterschiedlichen Wohnungen lebt etc., um sich über seine Gefühle klar zu werden. Ich zähle auf Deine Meinung, denn zum Psychologen will ich mit diesem Problem nicht unbedingt gehen – ganz abgesehen davon, dass ich mir das nicht leisten könnte. Vielleicht finde ich dann aber die nötige Ruhe, um mich wieder 100% auf meine Jobsuche zu konzentrieren.
Danke für deine Hilfe
Emma

Liebe Emma,
du kannst nur noch mit Beruhigungstee einschlafen und den Tag mit Johanniskraut-Tabletten überstehen, du hast eine ständige Unruhe in dir, dein Körper wehrt sich immer mehr gegen deinen Freund – und du willst mir erzählen, du hättest eine harmonische und gute Beziehung??! Meine Liebe, ich denke, da machst du dir ganz schön was vor.
Du meinst, du hättest einen „tollen“ Freund. Kann ich nicht finden. In den wichtigsten Punkten geht er nicht auf dich ein. Er ist verklemmt und verstockt und scheint auch gar nicht einzusehen, dass er in vieler Hinsicht einen gewaltigen Nachholbedarf hat. Ich persönlich käme nie mit einem solchen Mann klar, und wenn er mich noch so gut „versorgen“ würde. Was bringt mir ein Nest, wo ich mich gemütlich reinsetzen kann, wenn ich innen drin verhungere??! Du meinst, du müsstest einfach dem Reden und dem Sex nicht so viel Bedeutung beimessen und dann würde die Kiste schon laufen. Süße, eine funktionierende Kommunikation und eine befriedigende körperliche Zweisamkeit sind die Grundstöcke einer Beziehung!!! Selbst wenn nur einer von beiden nicht klappt, ist die Beziehung zum Scheitern verurteilt. Dazu kommt, dass du deinen Freund eigentlich nicht liebst. Du hast ihn gern, ja. Aber lieben tust du deinen Ex. Also was soll das? Warum verschwendest du Zeit und Nerven mit einem Mann, den du nicht liebst? Bist du so unselbständig, dass du dich von ihm abhängig machen musst, nur weil er dich versorgt? Du bist 26! Also besorg dir einen Job, irgendeinen, übergangsweise, damit du dein eigenes Leben finanzieren kannst und deine eigene Wohnung. Und telefoniere verdammt nochmal mit deinem Ex und sag ihm offen, wie sehr du ihn vermisst, und versuche, mit ihm zusammen einen Weg zu finden, wie ihr euch näher kennen lernen könnt, ohne dass du ihm gleich zu eng auf den Pelz rückst. Ich kann nämlich gut verstehen, dass er nicht will, dass du gleich von ihm abhängig würdest, falls du in sein Land ziehen würdest. Er will erst mal wissen, ob das auf Dauer mit euch klappen könnte, und da hat er verdammt recht. Vielleicht spürt er, dass du die Tendenz dazu hast, dich von einem Mann abhängig zu machen, so wie es beim Jetzigen der Fall ist – also sieh zu, dass du dich auf eigene Füße stellst!
Außerdem scheint deine Schwester ja in der Nähe von deinem Ex zu wohnen – also warum besuchst du sie nicht und triffst deinen Ex wieder und schaust nebenbei, ob du dort nicht leben und arbeiten könntest?

Ich als „Außenstehende“ kann nur raten: Nimm dein Leben in deine eigenen Hände und gestalte es so, wie es dein Herz dir rät. Hab Mut und die Kreativität und die Flexibilität, Wege zu finden, wie du das erreichen kannst. Klug genug bist du, da bin ich sicher.
Und natürlich bist du nicht “schäbig”, nur weil du dir mehr Sex und auch mal ne schnelle Nummer wünschst. Wenn du rausfinden möchtest, warum dein Freund sexuell so wenig offen und wenig lustvoll ist, lies mein Buch «Sexbewusstsein: So finden Sie erotische Erfüllung».
Alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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