Kann ich nicht lieben, weil meine Mutter so lieblos war?

Meine Mutter wollte nie Kinder, zeigte das auch sehr deutlich, kümmterte sich nicht um uns, gab uns oft nichts zu essen. Deshalb traue ich Beziehungen nicht

Ich habe Probleme mit Beziehungen, weil ich als Kind so schlecht behandelt und misshandelt wurde

Hallo Beatrice!
Gibt es Menschen, die einfach keine Liebe empfinden können? Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, ich wäre so gerne mal verliebt. Die meisten Menschen, mit denen ich rede, sagen mir, dass ich irgendwann schon den Richtigen finden werde. Ich bin es nur schon langsam leid, bzw. glaub ich nicht mehr wirklich daran.
Vielleicht liegt es auch an meiner Kindheit: Meine Mutter wollte nie Kinder haben, das hat sie mir und meinem Bruder immer gezeigt, sie hat sich nie um uns gekümmert, wir bekamen von ihr oft nichts zu essen (die Nachbarin hat uns dann was gegeben), ich habe mich öfters von Katzenfutter ernährt, sie war zu ihrer Katze viel netter als zu uns, sie war tagsüber ganz oft weg, ich und mein Bruder waren meistens auf uns allein gestellt, sie hat meinen Bruder fast jeden Tag geschlagen, und am Abend, wenn mein Papa heimgekommen ist, spielte sie heile Welt.
Ich war 5 und mein Bruder 7, als meine Oma draufgekommen ist, was bei uns abläuft, somit hat´s auch endlich mein Papa mitbekommen und meine Eltern haben sich scheiden lassen. Unsere Oma ist dann zu uns gezogen und hat mit meinem Papa (er hat dann ne andere Arbeit angenommen, um öfters da zu sein) unsere Erziehung übernommen. Heute bin ich schon 26, ich akzeptiere meine Kindheit genauso wie sie war, verzeihen tu ich meiner Mutter nie, besonders weil mein Bruder (wird im Juli 28) in einer geschützten Arbeit (Auffangbecken für Menschen, die psychische Probleme haben und deshalb keine Arbeit finden) unter psychologischer Betreuung ist.

Meiner Oma, meinem Papa, meiner Tante und meinem Onkel verdanke ich es, dass ich und mein Bruder doch noch erfahren haben, was Familie bedeutet.

Jeder Mensch liebt seine Familie, seine Eltern und Geschwister. Ich liebe sie nicht, und wenn ich sie nicht höre oder sehe, muss ich ehrlich gestehen, juckt mich das auch nicht besonders. Es ist erschreckend. Und irgendwie macht mich das traurig, dass ich nicht mal meine Familie liebe. Ich mag sie zwar, genauso wie ich viele Menschen mag, aber von meinen Gefühlen ist da nicht mehr. Ich find´s ganz schön arg.
Und es beschäftigt mich immer wieder, wieso ich für einen Mann keine Liebe empfinden kann. Ich möchte gerne selbst mal eine Familie gründen, aber ohne Liebe will ich das nicht, bzw. soll mein Kind nicht ohne Vater aufwachsen.
Ich erwarte kein Wunder, aber ich möchte es versuchen, vielleicht klappt es ja mal und ich hätte endlich mal Schmetterlinge im Bauch.
Sina (26)

Liebe Sina,
es liegt mit Sicherheit an deiner lieblosen Mutter, dass du jetzt Probleme mit dem Lieben hast. Allerdings solltest du dir nicht allzu große Sorgen darüber machen, dass du deine restlichen Familienmitglieder nicht liebst, sondern nur „magst“. Das ist vollkommen normal und in Ordnung. Sehr viele Menschen können einen Teil ihrer Familie nicht besonders leiden und den Rest mögen sie „nur“, aber sind sehr wohl in der Lage, sich zu verlieben.
Und ich habe das Gefühl, du empfindest durchaus so etwas wie Liebe für deinen Bruder; du hast Mitgefühl für ihn und bist auch wegen seiner Situation wütend auf deine Mutter.

Ich vermute, das Problem – bzw. die Verletzung – sitzt so tief, dass eine Psychotherapie sinnvoll wäre; da deine Thematik unter “Missbrauch” fällt, ist es in der Regel nicht schwer, da eine Therapie zu bekommen. (Siehe auch meine Antwort im Brief “Wurde als Kind jahrelang missbraucht, nun kam heraus, dass mein Mann auf Kinder abfährt!“)
Außerdem würde es helfen, wenn du dich intensiv mit deiner Mutter auseinandersetzst; vielleicht versuchen, mit ihr zu sprechen, warum sie damals so gehandelt hat; erkennen,dass sie massive psychische Probleme hatte und ein „schwacher Mensch“ war/ist…
Es wäre wichtig, dass du sie in irgendeiner Form mit ihrem schlimmen Verhalten konfrontierst.
Du musst ihr nicht verzeihen, das ist zumindest meine Meinung als Therapeutin, denn ich finde so ein Verhalten als Mutter unverzeihlich. Und warum solltest ausgerechnet du als eine der beiden Hauptbetroffenen etwas derart Unverzeihliches verzeihen? Ich denke, es reicht aus, wenn es dir irgendwann gelingt, du dieses Stück “verlorene Kindheit” zu betrauern und dann deinen Frieden damit zu machen. Auch hierbei kann eine einfühlsame Therapeutin sehr hilfreich sein. Außerdem sollte sie dir helfen, dein Vertrauen in sehr enge Beziehungen wieder aufzubauen, denn das wurde in diesen sehr jungen Jahren sehr beschädigt.
Danach wird es dir allmählich leichter fallen, Menschen auf einer tiefen Ebene zu vertrauen und dann auch zu lieben.
Unterstützend zu einer Therapie könnten folgende Bücher für dich hilfreich sein:
• «Das Kind in dir muss Heimat finden: Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme»

• «Entwicklungstrauma heilen: Alte Überlebensstrategien lösen – Selbstregulierung und Beziehungsfähigkeit stärken – Das Neuroaffektive Beziehungsmodell zur Traumaheilung NARM»

Alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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