Wenn er mit mir “fertig” ist, warum hört er dann nicht auf mit den Vorwürfen?
Er hat Schluss gemacht, ich würde uns noch eine Chance geben, aber er ist voller Vorwürfe gegen mich. Irgendwie mauern wir beide…
Hallo Beatrice,
nach fast neun Jahren Beziehung sagte mein Freund vor drei Monaten, dass es für ihn „emotional erledigt“ sei und er nichts mehr in uns als Paar investieren wolle. Wir trennten uns, ich zog aus der gemeinsamen Wohnung aus, wir regelten die Betreuung für unser Kind und ein paar andere Formalitäten – alles soweit ganz fair und sachlich.
Mir fiel diese Trennung wahnsinnig schwer, ich hätte uns gerne nochmal eine Chance gegeben, obwohl ich auch nicht sicher war, ob sich die Wunden aus der ganzen Zeit überhaupt heilen lassen. Aber ich fand, dass er und unsere gemeinsam erlebte Zeit es wert wären. Ich tat (und tue) mich irre schwer damit, diese Trennung zu akzeptieren. Aber ich hab’s versucht, hab ihn nach meinem Abschiedsbrief nicht mit weiteren „Erklärungen“ und Vorwürfen genervt, versucht, mich auf mein eigenes Leben und auf unser Kind zu konzentrieren.
Und dann fand ich heraus, dass er meine Mails mitliest, meine Passwörter benutzt und ganz selbstverständlich jeden Tag nachgesehen hat, was ich denn wieder so schreibe. Ich kochte. Und machte den Fehler, dass ich seiner fast erwachsenen Tochter das mit den Mails sagte. Sie kam gerade am Tag vorbei, nachdem ich diese Geschichte entdeckt hatte. Und seither prasseln die Vorwürfe von ihm geradezu auf mich herunter: Wie böse, wie berechnend, wie hasserfüllt, wie kalt, wie distanziert ich sei. Alles, was er zu unserer Beziehung beigetragen oder dagegen unternommen hat, sei „menschlich“, und ich solle endlich lernen, „richtig“ über mich zu sprechen, denn sonst sei ich wie ein Block Granit.
Ich war sauer, ich fand das ungerecht, und ich lasse mich davon total provozieren. Er, der seit Jahren abweisend ist und mich auflaufen lässt, der Gespräche abblockt, die nicht „richtig“ in seinem Sinne verlaufen, der sich entzogen hat und seit vorigen Juni auch eine Freundin hat, bringt nun Themen aufs Tablett, die wir einfach vor der Trennung hätten klären sollen (falls er sie denn klären wollte). Er macht mir Vorwürfe, die ich anders sehe. Er bringt Geschichten aus seiner Sicht an, zu denen er meine Variante zwar schon gehört hat, aber sie einfach ignoriert.
Ein Beispiel: Einmal holte er mich vom Bahnhof ab. Ich umarmte ihn. Er sagte: „Ich bin nicht dein Bruder“ und machte einen Schritt zurück. Für ihn war es das Signal: Sie will mich nicht wie einen Partner umarmen. Und das Ganze aus meiner Sicht: Monatelang hatte er mich auf Distanz gehalten, mir gezeigt, dass er keine Nähe will. Er hatte Berührungen zurückgewiesen, den Kopf beim Begrüßungskuss weggedreht, mich mit Antworten und Fragen auflaufen lassen („Was siehst du dir im Kino an?“ – „Einen Film“), Abweisung ausgestrahlt. Als ich da vom Bahnhof abgeholt wurde, kam ich gerade von meinen Eltern zurück: Meine Mutter lag nach einer Herzoperation im Krankenhaus. Nach diesem „Bruder“-Satz habe ich mich dann auch gleich wieder zurückgezogen und „gelernt“, dass ich da wohl jetzt alleine durch muss.
Während der ganzen Endzeit unserer Beziehung hat er von sich aus fast gar kein Gespräch gesucht, hat sich alle Erklärungen aus der Nase ziehen lassen, wollte sein Weltbild auch offenbar nicht in Frage stellen lassen und – natürlich – auch nicht geschimpft werden (so kam es mir vor). Es war so demütigend, wenn er sich einfach in Schweigen gehüllt hat und mich mit meinen Fragen auflaufen ließ. Jetzt sind es auch keine Fragen, die er stellt. Mehr Bausteine aus seiner Sammlung an Beweisen, warum ich allein schuld bin daran, dass es zwischen uns nicht mehr klappte. Ich denke auch nicht, dass er meine Sicht wirklich hören will. Aber es macht mich verrückt, dieses Bild so übergestülpt zu bekommen.
Was meinst du: Hat es überhaupt einen Sinn, nochmal auf diese alten, unterschiedlichen Wahrnehmungen der selben Ereignisse einzugehen? Oder kratze ich mir damit nur immer wieder die grade erst leicht verheilten Wunden wieder auf? Wie schaffe ich es am besten, mich von seiner Sicht der Geschichte zu lösen? Eben weil es für mich emotional nicht erledigt ist, kann ich so schwer loslassen. Und eben drum kommt es mir unterschwellig manchmal fast vor wie ein Gesprächsangebot von ihm. Will ich mir das schönreden?
Brigitte (37)
Tipps von der Paarberaterin:
Liebe Brigitte,
ich kann´s dir nicht beantworten, aber mein Rat ist ganz einfach: Frag ihn, warum er dir diese ganzen Dinge („Beweise“) sagt und ob das ein Gesprächsangebot ist. Wenn nein, was ist es dann? Versuche, nicht emotional zu reagieren, sondern so lange nachzuhaken, bis du eine plausible Antwort bekommen hast. Dann wirst du auch eher wissen, woran du bei ihm bist. Vielleicht solltest du ihn auch mal fragen, warum er so wütend auf dich ist, und ihn dann AUSREDEN LASSEN (!!!), und zwar wirklich bis er alles gesagt hat, ohne dass du dazwischenredest, ohne Rechtfertigungen und Richtigstellungen. Hör dir ruhig mal seine Sicht der Dinge von Anfang bis Ende an. Sitz einfach da und hör zu und lass es auf dich wirken. Vielleicht kannst du dich am Ende sogar in ihn hineinversetzen. Das würde es auch ihm leichter machen, sich in dich hineinzuversetzen und deine komplette Sicht der Dinge zu hören.
Ich hoffe allerdings, du machst dir nicht immer noch leise Hoffnungen, dass ihr beide wieder ein Paar werden könntet. Meinem Gefühl nach ist die Kluft zwischen euch schon zu groß, als dass ihr wieder zu einem glücklichen Miteinander finden könntet, außerdem hat er eine Neue; zudem finde ich, mit dem Vertrauensbruch, deine Nachrichten heimlich zu lesen, hat er das Fass zum Überlaufen gebracht.
Aber um eures Kindes willen wäre es sehr wichtig, dass ihr mal den Riesen Haufen von Groll aufräumt, der sich zwischen euch angestaut hat. Warum ist er so wütend und so vorwurfsvoll, warum empfindet er dich als einen “Block Granit”, der nicht über sich sprechen kann? Stimmt das? Und sag jetzt nicht, das läge nur an ihm, dass du dich dahin entwickelt hast. Denn man/frau kann sich ja auch in andere Richtungen entwickeln. Irgendwas im Umgang miteindander ist da bei euch mächtig schief gelaufen, und da ist noch ganz viel alter Groll auf beiden Seiten, unbearbeitete Verletzungen und Enttäuschungen, die nach Wiedergutmachung und Lösung drängen, daher seid ihr beide noch so stark miteinander verhakt.
Ich möchte dir ein super Buch empfehlen, DAS Standardwerk über gutes Miteinander-Reden: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens
und dann noch dieses hier:
Aus und Vorbei: Hilfe bei Scheidung und Trennung I Von Stiftung Warentest.
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder