Leide ich jetzt schon, weil mein neuer Freund tatsächlich neurotisch ist?

Er ist eigentlich ein toller Typ, aber hat eine Menge Psycho-Probleme

Liebe Beatrice,
da ich gelesen habe, dass du dich mit Fernbeziehungen auskennst, hoffe ich, dass du für mich ein wenig Licht ins Dunkle bringst. Einige Antworten zu Fernbeziehungen haben mir schon geholfen, aber ich befürchte, dass mein Problem komplexer ist! Mein Freund (33) und ich kennen uns seit 4 Monaten. Ich lernte ihn kennen, als er gerade aus meiner Heimatstadt wegzog in eine 500 km entfernte Stadt in Deutschland. Wir merkten sofort, dass es zwischen uns gefunkt hat und wir beide nicht davor weglaufen können, denn wir trafen uns in einer Phase im Leben, in der es uns relativ gut ging, wir gerne Single waren und wir beide einfach zu uns selbst finden wollten, bevor wir eine neue Beziehung eingehen.
Die unbeschreiblichen Gefühle waren gleich da, doch Probleme hatten wir schon zu Beginn unserer Beziehung. Zum einen hatte er zwei schlimme Beziehungen hinter sich (eine machte zwei Suizidversuche innerhalb der Beziehung, er war gerade mal 3 Monate von ihr getrennt, als wir uns trafen; die andere wurde missbraucht, ließ keine Nähe zu usw.), zum anderen wollte meine beste Freundin ihn mir ausreden (sie kennt ihn schon länger), weil sie denkt, er tue mir nicht gut, er sei depressiv, beziehungsunfähig, neurotisch usw.
Nach allem Stress haben wir langsam zueinander gefunden, es hat, trotz zahlreicher Probleme, wunderbar begonnen. Doch seit den letzten drei Wochen scheint unsere Beziehung zu kriseln. Seine Ex meldet sich wieder (die, die sich das Leben nehmen wollte), bettelt um einen Neustart, will ihn unbedingt treffen usw. Ich weiß, dass er nichts mehr für sie empfindet, aber er lässt sich von ihr runterziehen, weil er immer noch Schuldgefühle ihr gegenüber hat. Das belastet unsere Beziehung. Als ich dann die Email las, die sie ihm schrieb (er zeigte sie mir), ging es mir ganz beschissen, weil es einfach weh getan hat, zu merken, was sie noch für ihn empfindet. Ich bin eifersüchtig, obwohl ich weiß, dass er mich liebt und sie nie mehr haben wollen würde (er hat nach der Beziehung mit ihr eine Therapie gemacht).
Nun zum nächsten Problem: Er ist auch ein Mensch, der sich wegen der Entfernung zurückzieht. Er erklärt mir das so, dass er sich schützen muss, sonst würde er vor Sehnsucht durchdrehen. Zudem hat er auch ein Nähe-Distanz-Problem. Ich habe das Gefühl, dass wenn wir uns sehr nahe gekommen sind, muss er sich wieder zurückziehen. Seit den letzten 2 Wochen (wir haben uns viel gezofft) zieht er sich mehr und mehr zurück. Er versichert mir, dass ich mir keine Sorgen machen brauche, er hätte beruflich viel zu tun und er müsse sich zurück ziehen.
Meine Reaktion ist, dass ich seit 2 Wochen nur noch heule, ich habe Verlustängste, habe Angst, er könnte wieder zur Ex zurück wollen, mache ihm Vorwürfe, und er zieht sich dadurch noch mehr zurück.
Ich habe auch versucht in einer Email “Ich-Botschaften“ anzuwenden von wegen: “Es verletzt mich, dass du… und das macht mir Angst…“ Er hat nicht großartig darauf reagiert, sagte, ich solle mir keine Sorgen machen und nicht schon wieder mit den Problemen anfangen, wir hätten das schon so oft diskutiert, er sei nun mal ein Mensch, der sich zurückziehen muss – das soll ich akzeptieren und ich solle ihn nicht unter Druck setzen. Zudem laufen die Telefonate auch bescheiden. Er sagt, er muss beruflich sehr viel telefonieren, hat dann abends nicht mehr so viel Lust 2 Stunden am Telefon zu hängen. In letzter Zeit ergreife ich immer die Initiative ihn zu kontaktieren, sei es SMS oder Email… ich schreib ein paar nette Sätze und wünsch ihm nen schönen Start in den Tag. Er schreibt meist erst am nächsten Tag zurück, relativ gefühlskalt, kein “ich vermisse dich“, nichts. Das verletzt mich und meine Angst wird größer.
Außerdem hat er das Treffen für dieses Wochenende abgesagt, mit der Begründung, wir hätten ja beide Stress usw. Mein Freund ist so ein reflektierter Mensch, denkt sehr viel über sich nach, macht sich viel zu viele Gedanken. Wir können so gut reden, aber momentan spüre ich ihn und seine Liebe nicht mehr. Sage ich ihm das, fühlt er sich wieder unter Druck und sagt: “Du kriegst jetzt nicht das, was du hören willst, auf Kommando schon gar nicht!“
Es verletzt mich einfach so und ich weiß nicht mehr, ob ich einfach nur Geduld haben muss, mich auf meine eigenen Fehler konzentrieren muss (ich traf ja nicht umsonst so einen Mann, der in mir solche Kränkungen hervorruft), oder ob das mit uns keinen Sinn hat und ich mich nur kaputt mache. Ja, er ist neurotisch, hat viele Probleme, aber deshalb liebe ich ihn trotzdem. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten, aber ich habe Angst, dass mich das alles zu fertig macht und ich am Ende noch selbst gefühlskalt werde und keine Liebe mehr spüre.
Was soll ich machen? In ihm steckt ein so liebevoller, verletzlicher Mensch, doch nur manchmal lässt er seine weiche Seite raus…
Liebe Grüße, Katharina (29)

„Mr.

Ist dein Augenstern vielleicht ein Neurotiker, ein Bindungsphobiker, ein Psycho oder ein anderer Typus, mit dem du nicht glücklich werden wirst? Woran du das schon zu Anfang erkennst, plus Expertenkommentare, findest du in diesem Ratgeber.

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Liebe Katharina,
das klingt alles nicht gut. Willst du meine ungeschönte Meinung wissen? Ich glaub nicht, dass du mit diesem Mann glücklich wirst. Sogar deine beste Freundin wollte ihn dir ausreden: “weil sie dachte, er tue mir nicht gut, er sei depressiv, beziehungsunfähig, neurotisch usw.“ Warum sollte sie das tun, wenn nicht etwas Handfestes dahintersteckt?
Erstens ist sie nicht von ungefähr deine beste Freundin, was u.a. bedeutet, dass du normalerweise viel auf ihr Urteil gibst. Zweitens kennt sie ihn schon länger und ihr Blick ist nicht getrübt durch Verliebtheit.
Mag sein, dass er in der Anfangszeit kaum Zeichen zeigte von Neurosen, Depressionen und Beziehungsunfähigkeit. Das ist normal. In einer frischen Verliebtheit geht es einem ja viel besser als sonst und man steht positiver und offener zu allem. Aber schon nach den berühmten drei Monaten (in denen eh meist alles schön ist) fängt er an, sich in seine wahre Richtung zu entwickeln. Ich denke, er ist tatsächlich neurotisch und beziehungsscheu, aber er schiebt DIR den schwarzen Peter zu – als ob du diejenige bist, die irgendwie falsch ist und zu viel will usw. Aber eigentlich willst du nicht zu viel. Das, was du willst, ist ganz normal für Frisch Verliebte, die eine Fernbeziehung haben. Man hat das Bedürfnis, jeden Tag Kontakt zu haben, per Telefon, per Email, und selbst schwer beschäftigte Männer greifen dann am liebsten täglich zum Hörer, und sei es auch nur, um fünf Minuten die Stimme der Liebsten zu hören.
Sein “er hätte beruflich viel zu tun und er müsse sich zurückziehen“ halte ich für eine Ausrede oder zumindest trifft es nur 20 % der Wahrheit. Meines Erachtens ist die Wahrheit, dass er dich als Fernliebschaft behalten will (ist ja praktisch für ihn: die hat er nicht jeden Tag um sich rum, sondern nur dann, wenn es ihm grad in den Kram passt), aber ist nicht mal bereit, ein bisschen dafür zu tun, um die Gefühle warm zu halten. Denn seine Gefühle sind lauwarm oder auch sehr schwankend. Auf jeden Fall ist er zu einer richtigen Beziehung nicht bereit. Du spürst seine Liebe nicht mehr, weil sie nicht wirklich da ist. Du empfindest ihn oft als gefühlskalt, weil er das oft tatsächlich ist. Und die Warnung deiner Freundin, dass er dir nicht gut tue, tritt ja tatsächlich schon ein (und das schon nach gut 3 Monaten!!):
“Meine Reaktion ist, dass ich seit 2 Wochen nur noch heule, ich habe Verlustängste… ich habe Angst, dass mich das alles zu fertig macht …“

Ich denke, du solltest dich allmählich mit dem Gedanken anfreunden, dass deine Freundin recht hat. Und diesen Mann ziehen lassen. Halte nicht an ihm fest mit dem etwas abwegigen Gedanken, dass “ich mich auf meine eigenen Fehler konzentrieren muss (ich traf ja nicht umsonst so einen Mann, der in mir solche Kränkungen hervorruft).“
Eine Art Selbsttherapie kann man auch schmerzfreier haben, statt sich am falschen Mann aufzureiben und zu leiden wie ein Hund. Wenn du wachsen willst, dann setz dich mit deinen Exfreunden zusammen und auseinander. Und mit den Menschen, die dich wirklich gut kennen und dir wohlgesonnen sind – wie deine Freundin.
Ich finde, wir sollten unser Herz immer nur jemandem öffnen, der uns gut tut. Einen Spiegel wird auch er uns irgendwann vorhalten und uns die Chance zur Selbstkorrektur geben – aber auf weniger leidvolle Weise.
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Alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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