Ich bin seit Jahren dauer-depressiv, nun ließ sich meine Freundin auf einen anderen ein

Hatte meine Freundin die Affäre, weil ich schon so lange arbeitslos und depressiv bin und Antidepressiva verweigere? Soll ich mich trennen?

Bin seit Jahren dauer-depressiv, arbeitslos, jetzt ist auch noch die Freundin weg

Hallo Beatrice,
meine Freundin ist 45, ich bin 47. Sie ist eine Powerfrau, in ihrem Job erfolgreich. Ich hatte eine harte Lebensgeschichte schon hinter mir, als es mich vor 4 Jahren dann wegen Mobbing endgültig aus der Bahn geworfen hat. Ich mache seitdem Therapie wegen meinen Depressionen, nur Psychotherapie, hab keinen Bock auf Medikamente. Bin aber immer noch depressiv. Und arbeitslos. Meine Freundin hat mich immer, rückhaltlos, unterstützt. Aber die Leidenschaft ist seit 2 Jahren wie weggeblasen. Zuerst sagte meine Freundin immer, sie habe keine Lust, dann sagte sie, sie brauche eine Auszeit. Und jetzt, vor 2 Wochen, kam sie abends zur Tür rein und eröffnete mir, sie habe eine Affäre seit 4 Wochen mit einem anderen. Sie hatte auch Sex mit ihm.
Dann teilte sie mir noch ganz cool mit, dass die Beziehung mit mir hiermit beendet wäre. In der Nacht bin ich total abgedreht und habe einen Suizidversuch unternommen, mit Tabletten und Alkohol. Ich kam auf die Intensivstation, danach 3 Tage geschlossene Psychiatrie, zur Beobachtung.
Jetzt bin ich wieder zuhause und der neue Typ hat vor ein paar Tagen telefonisch die Affäre mit meiner Freundin beendet, weil er selbst eine langjährige Beziehung hatte, die er für sie nicht aufs Spiel setzen wollte. Jetzt tut es meiner Freundin auf einmal sehr leid und sie tut so, als sei nichts gewesen. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich liebe sie noch immer, aber die Nummer war und ist mir wirklich zu abgefahren! Ich weiß im Moment nicht, was ich von meiner Freundin halten soll!?
Danke fürs Zuhören, Ulf (47)

Lieber Ulf,
ich bin dafür bekannt, dass man von mir sehr direkte Antworten bekommt, auch wenn´s weh tut. Deshalb bitte ich dich, meine Antwort nicht als Kritik an deiner Person zu verstehen, sondern als außenstehende Sicht von einer Person, die mit dem Thema einige Erfahrung hat (auch in meinem persönlichen Umfeld).

Wenn jemand eine jahrelange Depression hat, trotz Therapie nicht rauskommt und dann noch wie du sagt, „kein Bock auf Medikamente“, dann oft deswegen, weil er sich sozusagen auf der Depression ausruht: Ich kann nicht arbeiten, ich darf mich nicht belasten, man darf mir nichts zumuten, weil, ich hab doch eine Depression! und ich kann doch nichts dafür!
Bei etlichen Betroffenen besteht ein Teil der Depression aus Passivität und Selbstmitleid, das ist auch der Grund, warum diese oft auf Ablehnung stoßen oder sogar Menschen in ihrer Umgebung aggressiv machen.
Es ist unglaublich schwierig, über längere Zeit eng mit einem depressiven Menschen zu tun zu haben, weil man da oft das Gefühl hat, der will sich gar nicht helfen lassen oder sich selber da raushelfen, sondern weiterhin in seinem Elend verbleiben. Denn die Aktivität bringt ja Gefahren mit sich: man muss Verantwortung für sich und sein Tun übernehmen, man kann was falsch machen oder scheitern, und es kann anstrengend oder mühsam sein (z.B. arbeiten). Ferner wird es schmerzhaft, wenn man der Depression an die Wurzel geht, weil man sich dann mit seinen alten Wunden auseinandersetzen muss.
(Thema „Antidepressiva“: Ich bin keineswegs dafür, sich einfach ein Antidepressivum einzupfeifen, statt dem seelischen Leid an die Wurzel zu gehen, aber eine längere Depression verändert dauerhaft den Gehirnstoffwechsel, sodass es schwer wird, genug Energie und Antrieb für die nötigen Veränderungen zu haben; das ist auch der Hauptgrund, warum Psychotherapie bei vielen Depressiven nicht anschlägt. Das heißt: Vorübergehend Antidepressiva zu nehmen, um die entscheidenden Veränderungen überhaupt zu erreichen, ist gut!)

Grade wenn jemand selber ein Power-Typ mit positiver Einstellung ist, nervt es auf Dauer wahnsinnig, mit jemand zusammen zu sein, der sich hängen lässt und oftmals schlecht drauf ist. Na klar hast du Schicksalsschläge erlitten, aber so geht es Zigtausenden anderen Menschen auch, ohne dass sie jahrelang in eine Depression verfallen und auf die Unterstützung von anderen zählen. Ich kenne zum Beispiel eine Frau, die vor sieben Jahren ihr einziges Kind verlor (es war damals 10) und ein Jahr später ihren Mann (er brachte sich um), und dann bekam sie Krebs (sicherlich v.a. seelisch bedingt), aber statt sich in ihrem Leid zu vergraben oder sich das Leben zu nehmen, kämpft sie! Sie hat ihr Leben komplett umgestellt, ihre Ernährung, ihre Bewegung, ihre Einstellung, ihren Beruf (sie arbeitet jetzt bei der Krebshilfe), und ich bin sicher, sie wird ihre Krankheit besiegen.

Jedenfalls ist in all dem vermutlich der Grund zu suchen, warum deine Freundin sich einem anderen zugewandt hat. Sicher hat sie dich noch gern, aber vermutlich ging ihre Liebe mit ihrer Achtung verloren. Nun ist sie wieder bei dir, weil´s mit dem anderen nicht geklappt hat und sie dich noch gern hat und ihr beide durch vieles miteinander verbunden seid. Das ist nicht sehr schmeichelhaft für dich, aber andererseits lag es zum Teil auch an dir, dass sie sich dem anderen zuwandte. Wenn du ihre Achtung und ihre Liebe wiedergewinnen willst, dann aktiviere all deinen Willen und deine Kraft (ja, auch du hast noch Kraft in dir) und sieh zu, dass du da rauskommst aus diesem Sumpf von Depression und Arbeitslosigkeit. Werde aktiv, such dir eine neue Beschäftigung, konzentriere dich auf dein Tun und deine Zukunft statt auf deine inneren Leiden.
Vielleicht ist auch deine Therapie oder dein Therapeut nicht die/der richtige; raff dich auf, jemand anderen zu finden, und mach einen Termin.

Bitte lies dazu auch:
Hab ich wirklich eine versteckte Depression? Was kann ich dagegen tun?

Unterstützend noch zwei Buchtipps:
Wenn dunkle Wolken die Lebensfreude eintrüben: Der Selbsthilfe-Ratgeber gegen Depressionen

Mit dem schwarzen Hund leben: Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren..

Alles Liebe und Gute,
Beatrice Poschenrieder

Hallo Beatrice,
Vielen Dank für Deine harte aber ehrliche Analyse.
Ich bin mir inzwischen, 2 Wochen nach meinem Selbstmordversuch, wesentlich mehr im Klaren über die ganze Situation. Ich denke, Du hast vollkommen recht mit Deiner Aussage, was das Ertragen meiner Depression für meine Freundin an Kraft gekostet hat. Und ich denke auch, wie Du es mir schon erklärt hast, dass sie mit der Zeit die Achtung für mich und schlussendlich die Liebe und die Leidenschaft verloren hat.
Sie hat mir versichert, dass sie mich immer geliebt hat und dass die Gefühle immer noch da sind, wenn auch überdeckt von Problemen und Frust. Mir geht es genauso. Es gibt für mich keine andere Frau, es gab nie eine andere, für die ich je so tief empfunden habe.

Mit Deinem Rat, welchen Du mir am Schluss noch mit auf den Weg gegeben hast, liegst Du glaube ich richtig. Aus diesem Grund werde ich auch auf jeden Fall in die Reha-Klinik gehen. Einfach weil ich mit einer(m) anderen Therapeuten das ganze noch einmal durchgehen will. Ich will aus dieser Hölle jetzt endlich raus und ich will vor allen Dingen endlich wieder anfangen zu leben, erfolgreich werden, Geld verdienen und mit dieser tollen Frau glückliche Tage erleben. Nochmals danke für die Zeit, die Du Dir genommen hast…
Ulf

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