Als Kind missbraucht: Sein merkwürdiges Sexverhalten unterbrach unsere Beziehung

Er hat Erektionsprobleme, ergreift keine Initiative zum Sex, redet nie über seine Wünsche im Bett und will nicht sagen, was ihm mit 5 passierte

Hallo Beatrice,
habe lange überlegt zu schreiben und bin nun doch zu dem Schluss gekommen, dass ich Hilfe benötige. Ich war 3 1/2 Jahre mit meinem “Traummann” zusammen. Es war eine sehr gute Beziehung. Das einzig Störende war in der gesamten Zeit das Halbwissen, dass bei meinem Freund in frühen Jahren in sexueller Hinsicht etwas passiert ist. Genaues erfuhr ich nie, er wollte nicht darüber sprechen. Vor vier Monaten unterlief mir ein Fehler. Im Bett während des Aktes sprach ich ihn auf 1-2 Sachen an, die mich störten. Endresultat: ich schockte ihn so damit, dass er keinen mehr hoch bekam.
Ich verstand die ganze Situation nicht. Er verließ mich, mit allen offenen Fragen. Im Lauf der Monate wurde ihm klar, dass er ein Problem hat, welches geändert werden müsste und dass er nicht aufhören kann mich zu lieben und dafür alles tun möchte. Nun ist er bei einem Psychotherapeuten und distanziert sich bewusst von mir, möchte mich erst mal nicht sehen und hören.
Frage nun bei mir: Wie verhalte ich mich? wie kann ich ihm ohne Angst wieder Sex näher bringen? wie kann ich zusätzlich zur Therapie ihm helfen? Wie kann auch ich mir helfen?
Ich fühle auch Angst und Unwissenheit.
Schönen Gruß, Ulrike (31)

Unser Sex ist gut, aber danach ist er so kalt und abweisend

Liebe Ulrike,
Ich habe noch ein paar Rückfragen:
1) “in frühen Jahren in sexueller Hinsicht etwas passiert” – was meinst du damit? Und was weißt du?
2) “Im Bett während des Aktes sprach ich ihn auf 1-2 Sachen an, die mich störten” – was genau?
3) Wie war eure Beziehung? Was war gut, was weniger?
4) Wie war euer Sexualleben? Was war gut, was weniger?
5) Seid ihr offiziell getrennt?
6) Hat er nur einmal keinen hochbekommen und sich dann von dir zurückgezogen, oder was war ab diesem einen Akt?
7) Inwieweit habt ihr jetzt Kontakt, und was genau weißt du über seine Therapie?
Bis bald, Beatrice

 
Hallo Beatrice,
hier die Antworten:
1) Sexueller Missbrauch mit ca. 5 Jahren. Mehr weiß ich nicht. Er selber sagt, er könnte auch nicht mehr sagen, da er nichts mehr weiß und es auch nicht wissen möchte. Dem Therapeuten hat er wohl auch gesagt, dass er über diese Vergangenheit nicht reden kann und möchte.

2) Bei diesem einen Akt, das war aus der Situation heraus. Beim Oralverkehr (ich machte es an ihm) hat er einen Hänger bekommen, sagte aber nichts, sondern überspielte die Situation. Ich hörte abrupt auf und sprach ihn drauf an. Daraus wurde dann eine Diskussion.
Ich redete ohne Nachzudenken. Wollte wissen, ob ich beim Oralsex nicht das Richtige mache, warum er nicht über Sex reden könne, warum er selten die Initiative ergreift, warum er nicht sagt, was ihm gefällt und was nicht. Ein Wort gab das andere. Ich war aufgestachelt und sauer. Leider hätte ich das Gespräch nicht im Bett führen sollen.

3) Ohne Übertreibung, die Beziehung war sehr gut. Wir hatten Anfangsschwierigkeiten, haben alles aber gut gemeistert. Kurz vor dem Ereignis im Januar hatte er mir einen Heiratsantrag gemacht. Wir waren sehr glücklich. Das einzig Fragliche war, dass er eben nie mit mir über das Sexuelle gerdet hat, weder über seine Vergangenheit noch über aktuelle Dinge.

4) Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich ein sehr gutes Sexleben. Wir konnten uns vertrauen, wir experimentierten, hatten Humor im Bett, er war sehr zärtlich. Das einzige, was mich störte, war die Tatsache, dass ich primär die Initiative ergreifen musste, obwohl ich wusste, dass er auch wollte. Und irgendwas störte ihn beim Oralsex, aber er konnte es nicht benennen, somit unterließ ich es. Ihn störte es wohl auch (das fand ich hinterher bei Gesprächen heraus), dass ich nicht sehr laut war, also meine Emotionen dabei nicht hörbar und fühlbar für ihn gemacht habe.

5) Ich sage, ja, wir sind getrennt, er würde es verneinen. Er denkt für sich, wir haben gerade Probleme, aber sind noch zusammen. Ich habe mich nicht verändert, ich stehe weiterhin zu ihm, höre ihm zu, rede und bin einfach da.

6) Hat er nur einmal keinen hochbekommen? Vorher ist ihm das bei mir noch nie passiert.
Er selber kennt die Problematik aber schon mit seinen vorigen Freundinnen. Deshalb auch sein Wissen, das er bei diesem verkorksten Akt hatte und mir im Bett sagte: nun ist die Pandora´s Box geöffnet, jetzt werde ich keinen mehr “hochbekommen”
Wir versuchten es danach doch nochmal, unter der Dusche. Und ich ahnte von Anfang an, wie unentspannt er war und er sich im Kopf unter Druck setzte.
Ich hörte auf und sprach ganz in Ruhe mit ihm, dass es kein Problem wäre und wir einfach erstmal nur uns streicheln sollten, kuscheln und einfach unseren Körper wieder kennenlernen sollten, erforschen und wir mit dem Sex Zeit hätten. Es würde sich wieder geben, wenn er seinen Kopf beizeiten abstellen könnte.

7) Wir hatten die ganze Zeit über Kontakt, in den letzten Monaten intensiver, wo uns klar war, dass wir nun alles probieren wollen. Wir haben über alles gesprochen, jede Möglichkeit in Betracht gezogen, wir wissen beide, dass wir zusammengehören und nur diese Problematik aus dem Weg geräumt werden muß.
Mir wurde vor 3 Wochen bewusst, dass ich ihm nicht mehr helfen kann, und wollte Schluss mit allem machen und ihm sagen, dass er jetzt nur noch eines machen kann: Zum Therapeuten gehen. Danach hatten wir erstmal keinen Kontakt mehr, bis er mir schrieb, dass er nun beim Therapeuten ist, aber primär für uns, und er möchte auch weiterhin mit mir diesen Weg gehen.
Für mich bleibt die Frage, was kann ich nun tun? Lass ich ihn erstmal in Ruhe? was kann ich machen, wenn wir uns wiedersehen? wie gehe ich am besten mit ihm um? Sollte ich mich doch lieber in der Zwischenzeit mal bei ihm melden? Wie kann ich ihm mehr Angst nehmen vor mir und dem Sex, oder überlasse ich alles dem Therapeuten und lasse mich überraschen, was er zu mir sagt? Oder sage ich einfach frei heraus: ich weiß nicht, was ich tun soll, du musst mir nun helfen?
Oder ihn einfach verführen und schauen, was passiert?

Über die Therapie weiß ich noch nicht so viel. Ich weiß, wie er sich bei der Therapie fühlt, aber nicht den genauen Inhalt. Einige Sachen, die ihm bereits jetzt an sich aufgefallen sind und auch Sachen, die ich ihm bereits gesagt habe, die er nun versteht und diese auch einsieht, aber nicht den genauen Vorgang
dort.
Schönen Gruß, Ulrike
 

Liebe Ulrike,
du fragst dich: „Wie kann ich ihm mehr Angst nehmen vor mir und dem Sex, oder überlasse ich alles dem Therapeuten und lasse mich überraschen, was er zu mir sagt? … Oder ihn einfach verführen und schauen was passiert?“
Auf keinen Fall verführen. Die Sexualität ist sein wunder Punkt, und in genau diesem Punkt musst du am behutsamsten mit ihm umgehen. Du sagst: „wir wissen beide, dass wir zusammengehören“, sprich, du bist gewillt, sehr viel dafür zu tun, dass diese Beziehung wieder läuft. Das ist eine gute Basis, und das solltest du ihm auch sagen.
Zuerst einmal musst du dich mit dem Gedanken vertraut machen, dass möglicherweise in den nächsten Monaten sexuell nicht viel läuft. Also Verkehr vielleicht gar nicht, Berührungen schon eher.
Oralverkehr an ihm musst du komplett unterlassen, denn ich vermute, dieser spielte in seinem Missbrauch eine Rolle und lässt alte unterdrückte Ängste in ihm wieder wach werden. Aber man kann ja auch ohne Oralverkehr ein gutes Liebesleben haben, nicht wahr?
Auf keinen Fall darfst du Therapeutin spielen und ihn z.B. mit der „Konfrontationstherapie“ überrumpeln, sprich, einfach loslegen so nach dem Motto, „in der Praxis wird er schon sehen, dass alles halb so wild ist“.
Sexueller Missbrauch hinterlässt sehr tiefe Wunden und vor allem tiefe Ängste, die immer wieder in ähnlichen Situationen aufbrechen können. Dies zu bewältigen, musst du ihm und seinem Therapeuten überlassen und viel Geduld haben.

Ferner schlägst du vor:
„Oder sage ich einfach frei heraus: ich weiß nicht, was ich tun soll, Du musst mir nun helfen?“
Das halte ich für einen guten Ansatz. Und sag ihm, dass du bereit bist, alle körperlichen Aktionen, die ihm Angst oder ein unangenehmes Gefühl machen, wegzulassen. Und zwar so lange, bis er sich gut damit fühlt.
Sprich: Er soll dir genau sagen und zeigen, welche körperlichen Dinge für ihn okay sind. Und die macht ihr dann auch. Ich halte es zum Beispiel für wichtig, dass ihr weiterhin miteinander zärtlich seid. Aber wie gesagt, da musst du mit ihm sehr behutsam sein und immer wachsam bleiben für seine Signale, wann es anfängt für ihn beängstigend zu werden.

„Lass ich ihn erstmal in Ruhe? was kann ich machen, wenn wir uns wiedersehen? wie gehe ich am besten mit ihm um?“
Frag ihn! Mir scheint, er möchte ja schon mit dir zusammen sein. Wenn du dich zurückziehst, würde er das nur als Zurückweisung empfinden. Also zeig ihm, dass auch du wieder mit ihm zusammen sein willst, aber dass er dir genau sagen soll, welche Art von Kontakt und Zusammensein er haben möchte.

Ferner könntest du ihm erzählen, dass du im Internet Stellen gefunden hast, die männliche Missbrauchsopfer kostenlos und anonym beraten, und dass er da vielleicht einfach mal anrufen kann.
Diese Stellen findest du im Beitrag
„Gibt es Anlaufstellen für männliche Missbrauchsopfer?“

Erzähle ihm aber besser nicht, dass du dich mit eurem Problem an mich gewandt hast.

Alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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