Bin ich bindungsunfähig, kann ich nicht lieben oder habe ich es verlernt?
Ich hatte viele Affären und schaffe es nicht mehr, eine Frau dauerhaft zu lieben, meine jetzige Freundin nicht und die neue auch nicht
Hallo Beatrice,
beim Durchstöbern deiner Webseite sind mir Antworten von dir aufgefallen, in denen du vor Menschen warnst, die zu einem anderen nicht das Gefühl der “Liebe” aufbauen können.
Nun ist es bei mir so, dass ich (34) durchaus schon verliebt war und auch geliebt habe. Diese Beziehung ging schon vor ca. 5 Jahren zu Ende, da wir uns einfach anders entwickelt hatten. Es war danach zwar eine lange Zeit ziemlich hart für mich, damit klar zu kommen bzw. darüber hinweg zu kommen. Sicherlich habe ich auch den falschen Weg versucht und habe mich von einer Affäre in die nächste gestürzt, um am Ende (nach 4 – 8 Wochen) immer wieder festzustellen, dass daraus nichts Tieferes wird. Das ging zweieinghalb Jahre so, ziemlich ohne Unterbrechung. Dadurch bin ich in gewisser Weise ziemlich abgestumpft. Fand es mitunter zu leicht, bei einer zu landen. Was jetzt nicht heißen soll, ich kann alle haben oder sonst so ein Machogeschwafel. Das bin ich nämlich mit Sicherheit nicht. Ich würde mich auch keinesfalls als beziehungsunfähig oder bindungsängstlich bezeichnen, da ich schon mehrere lange Beziehungen hatte. Eines schönen Tages lernte ich meine jetzige Freundin kennen und es war soweit auch gut. Sie ist ein unglaublich toller Mensch.
In der ganzen Zeit kamen mir aber doch, in der ein oder anderen “schwachen” Minute, mal Zweifel, was meine Gefühle zu ich ihr angehen. Ich fühl mich wohl bei ihr und finde es auch schön, mit ihr Dinge zu unternehmen, lange Gespräche zu führen usw.. Aber dieses “Wow-Gefühl” hatte ich nie. Ich hab das alles so hingenommen und war wohl der Meinung, das ist halt mittlerweile bei mir so. Ich meine, das Teenager-Dasein ist schon ne Weile her und vielleicht verändert sich das halt so beim Älterwerden, dass man(n) nicht mehr diese extreme Begeisterung wie früher empfindet, da man ja doch einiges an Erlebnissen und Erfahrung hat. Bei anderen Empfindungen wie Freude, Trauer hat sich aber nichts geändert.
Nun habe ich kürzlich eine Frau kennen gelernt. Bei ihr fühle ich mich unglaublich wohl und es ist alles vorhanden, was man sich nur wünschen kann, zumindest aus meiner Sicht. Zwischen uns passiert ist noch nichts (hab ja “noch” ne Freundin). Aber wieder macht es nicht “wusch”.
Das, gepaart mit deinen Antworten um Leute, die nicht lieben können, lässt mich dann doch mal aufschrecken. Ist es möglich, dass man das Lieben, das Sich-Verlieben verlernt?
Oder ändert es sich tatsächlich nur? Wenn man es verlernt hat, könnte man was dagegen unternehmen?
Von einer Therapie möchte ich gleich mal Abstand nehmen, weil ich meiner Meinung nach nichts zu verarbeiten habe. Mein Leben ist immer gut gelaufen und ich musste auch nie wirkliche Enttäuschungen hinnehmen oder dergleichen. Ich wurde immer gut und mit Respekt behandelt, geliebt, nicht hintergangen, nicht in wichtigen Dingen belogen oder sonstwie vom Schicksal in die Knie gezwungen. Aber trotzdem habe ich mich gerade gedanklich festgefahren und würde darum gerne deine Meinung dazu hören.
Schöne Grüße, Paul (34)
Lieber Paul,
das ist eine verdammt schwere Frage, die du mir da stellst. In Bezug auf dich kann ich sie nicht wirklich beantworten, weil ich dazu intensiv mit dir sprechen müsste, aber ich kann versuchen, dir etwas Allgemeines dazu zu sagen.
Es gibt Leute, die ihr ganzes Leben lang noch nicht geliebt haben, weil sie eine tiefsitzende Angst davor haben oder weil sie Liebe einfach nie kennengelernt haben und daher nicht wissen, “wie das geht” bzw. empfinden sie deshalb als bedrohlich.
Bei der Liebe geht es ja unter anderem darum, uns jemandem ganz zu widmen, hinzugeben, zu öffnen – und damit riskieren wir auch Verletzung, Enttäuschung, Frust und Verlust.
Bei vielen Menschen gibt es Phasen, in denen sie nicht fähig zu so einer Hingabe und Öffnung sind – sei es, weil es grade nicht in ihr Leben passt, sei es, weil sie etwas Altes noch nicht überwunden oder verarbeitet haben. Oder weil der entsprechende Mensch zur Zeit nicht auftaucht, der diese völlige Öffnung und Hingabe bewirkt.
Wir werden ja mit dem Alter wählerischer, und das ist nicht immer ein bewusster, sondern oft auch unbewusster Vorgang, der auch von unseren Erfahrungen geformt wird. Manche Erfahrungen wollen wir einfach nicht wiederholen, und manche Menschen berühren einfach nicht unser Herz oder haben nicht den selben Weg wie wir.
Als junger Mensch ist das einfacher, weil wir am Anfang des Weges stehen und ganz viele Abzweigungen und Wege wählen können. Je älter, desto weniger Abzweigungen; manchmal begleitet uns jemand nur auf einem Nebensträßchen, das ist schön und beruhigend, aber es ist eben kein gemeinsamer Weg.
Vielleicht bist du durchaus liebesfähig, aber solltest mal in dich gehen, ob dich etwas zurückhält, dich deiner Freundin oder deiner Neuen ganz zu öffnen und zu widmen, oder ob beide Frauen eben einfach nicht dein Inneres zum Klingen bringen.
Vielleicht erwecken sie auch keine Liebesgefühle in dir, weil DU dich keiner GANZ widmest?
Wenn du magst, lies zur Sicherheit mein Buch
«Mister Aussichtslos: 12 Männertypen, die Sie sich sparen können»
– da erfährst du, ob du ein “Mister Aussichtslos” bist oder nicht.
Auch dieses Buch ist sehr hilfreich, wenn es um Liebes- und Bindungsfähigkeit geht:
«Jein!: Bindungsängste erkennen und bewältigen. Hilfe für Betroffene und deren Partner».
Schau dir bitte auch diese Beiträge an:
• Mein Beziehungsmuster heißt: Flucht. Wie kann ich es durchbrechen?
• Bin ich beziehungsunfähig, ein Mr. Aussichtslos? Wenn´s mir zu eng wird, bin ich weg
• Etwas in mir zwingt mich auf Abstand zu ihr zu gehen, obwohl ich verliebt bin
• Ich lasse meine Partnerinnen immer wieder fallen, kann ich lernen zu lieben?
• Kann ich nicht lieben, weil meine Mutter so lieblos war?
• 13 Anzeichen von Beziehungsunfähigkeit oder Bindungsangst
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder