Bin ich verliebt in einen Mann, der einer anderen Frau hörig ist?

Mein Neuer kommt aus einer mega-anstrengenden Beziehung mit einer Borderlinerin. Wir waren anfangs superglücklich, dann lockte sie ihn zurück

Sie behandelt ihn wie Scheiße, aber er ist ihr hörig, abhängig von ihr

Liebe Beatrice,
der Mann, um den es geht, ist mein Kollege; wir arbeiten nicht direkt miteinander, jedoch häufig per Telefon und email zusammen. Diese Kontakte wurden mit der Zeit immer persönlicher und es stellte sich in den letzten Wochen heraus, dass wir schon seit längerem gegenseitiges Interesse aneinander haben.
Ich erfuhr, dass er sich in einer 5-jährigen, sehr “chaotischen” Beziehung befand und aufgrund dessen mittlerweile in therapeutischer Behandlung ist. Diese beschränkt sich auf eine Gruppentherapie, da sich (nach seiner Aussage) der Psychologe derzeit außerstande fühlt ihm zu helfen. Mittlerweile habe ich auch eine Ahnung warum.

Wir verabredeten uns privat, und beim 2. Treffen sagte er mir, dass er die Beziehung zu der anderen Frau endgültig beendet hätte. Ich schenkte ihm mein vorbehaltloses Vertrauen und an dem Tag kamen wir zusammen. Was ich in der kommenden Woche durch ihn erfuhr, hat mich stark belastet. Wir haben tage- und nächtelang geredet, er hat mir sein ganzes Leid ausgeschüttet und seine Seele offenbart. Er kannte bis zu dem Zeitpunkt kein harmonisches und liebevolles Miteinander, keine Beziehung, die durch gegenseitige Liebe, Respekt, Achtung und Anerkennung geprägt ist. Er war unendlich glücklich mit mir, sagte und zeigte es mir in jeder Sekunde unseres Zusammenseins – und ich hätte mir zu dem Zeitpunkt nie vorgestellt, dass er freiwillig aus unserem “Paradies” wieder zurück in die Hölle gehen würde. Wir schmiedeten bereits kleine Zukunftspläne, wie diverse Reisen, Unternehmungen mit seiner Tochter etc., waren beide sehr stolz und glücklich, uns miteinander zu zeigen. Es ging alles sehr schnell, zu schnell, passte jedoch so hervorragend zusammen, dass es schon wieder unheimlich war. Wir wollten es wohl beide so.
Dann rief “sie” bei ihm an. Zwei Anrufe genügten und er kehrte wie ein treues Hündchen winselnd zu ihr zurück.

In diesen 5 Jahren ihrer Beziehung waren die beiden mehr getrennt als zusammen. Die Beziehung ist geprägt durch Lieblosigkeit und Egoismus ihrerseits, aufopferungsvolle Hingabe seinerseits und ständige Unzufriedenheit und Streit.
Sie ist Anfang 30, hat einen kleinen Sohn (an dem er sehr hängt), ist in der Vergangenheit mehrfach verprügelt und vergewaltigt worden, ritzt sich, kifft, ist völlig überfordert und kommt mit ihrem Leben scheinbar überhaupt nicht zurecht.
Er ist Mitte 40, hat von Kindheit an kaum Anerkennung erfahren, besitzt kein Selbstwertgefühl, hat eine sehr dominante Mutter und einen unterwürfigen Vater. Er will es immer allen recht machen, kann nicht nein sagen, hat aus eigener Überzeugung ein “Helfersyndrom” (was sich allerdings eher auf persönliche Beziehungen beschränkt, weniger auf das Berufsleben).
Als er bei mir war, hatte ich den Eindruck, dass er gierig nach Respekt, Anerkennung und Zuneigung, Lob und Komplimenten ist. Wenn er genau das von mir bekam, konnte er überhaupt nicht damit umgehen, war fassungslos und total überwältigt. Das war eine völlig neue und auch unverständliche Erfahrung für mich, da ich es als selbstverständlich erachte, für erhaltene Hilfe und Bemühungen auch zu danken und Können auch Respekt zu zollen.
Er wollte gar nicht mehr weg von mir, wir waren innerhalb dieser einen Woche gerade mal 4-5 Std. getrennt, die Arbeit ausgenommen. Er hat sich regelrecht eingenistet bei mir und ich hatte da schon den Eindruck, dass er vor irgendetwas davonläuft. Aber ich habe es auch genossen, da wir uns so gut verstanden, uns einig waren, intensive und interessante Gespräche führten, uns hervorragend ergänzten und uns gegenseitig derart liebevoll behandelten. Ich war vorher sehr lange allein, hatte keinen Partner und habe mich sehr nach harmonischer Zweisamkeit gesehnt.
Von einer Std. zur nächsten änderte sich alles. Sie rief bei ihm an. Dann ein 2. Mal auf der Arbeit, und er kippte wieder einmal völlig um, fiel wieder in alte Gewohnheiten und Verhaltensmuster. Sie braucht ihn und er kann nicht nein sagen. Er war völlig am Ende und hat so sehr geweint, als er mich verlassen hat.

Er bildet sich ein sie zu lieben, doch ich bin der Meinung, dass er abhängig, regelrecht hörig ist. Wie ein Alkoholiker, der in einem lichten Moment genau weiß, dass ihm seine Sucht schadet, ihn vielleicht umbringen wird und er damit aufhören muss, dann aber doch nicht von der Flasche lassen kann.
Er redet sich ein, dass sie sich nun wirklich geändert hat, wie er das immer wieder seit 5 Jahren tut: dass sie künftig auf seine Bedürfnisse und Interessen eingehen und ihn liebevoll mit Respekt behandeln wird. Im Moment mag es auch so sein, doch kann sich ein Mensch mit der Vergangenheit und in diesem seelischen Zustand innerhalb kürzester Zeit, und das dauerhaft, um 180° wenden? Ich denke nicht und habe die Befürchtung, dass es bei einer erneuten Eskalation in dieser Beziehung zum Schlimmsten kommen könnte. Denn dann gibt es nicht nur wieder einmal die schmerzliche Trennung von ihr, wieder das – kurzfristige – Bewusstsein, dass sie sich nie ändern wird (er natürlich auch nicht) und hinzu kommen noch seine starken Schuldgefühle mir gegenüber. Während der ganzen 5 Jahre gab es keine andere Frau für ihn, ich war die Erste, durch die er versuchte auszubrechen.

Mittlerweile hat sein gesamtes Umfeld kein Verständnis mehr für ihn: Kollegen können ihn nicht begreifen, Freunde fühlen sich außerstande ihm zu helfen und wollen teilweise von seiner Geschichte nichts mehr hören, da er doch keine Ratschläge annimmt. Er leidet, bittet um Hilfe und doch versucht er immer wieder sich alles schön zu reden, bewertet 2 Pluspunkte höher als 20 Minuspunkte, sucht nach guten Gründen, warum sie so handelt, vergisst dabei sich selbst.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, und fühle mich ein wenig überfordert. Ich mag ihn sehr, er bedeutet mir als Mensch und auch Kollege sehr viel und ich würde ihm gern helfen. Doch wie kann man einem Menschen helfen, der die Augen vor der Wahrheit verschließt?
Aus meiner Sicht könnte der Ansatz sein, in erster Linie erstmal sein Selbstbewusstsein und sein Selbstwertgefühl zu stärken und seinen Mut zur Selbsthilfe zu fördern. Da er mir regelrecht aus den Fingern geglitten ist und ich keinen Einfluss mehr auf ihn habe, schenkte ich ihm das Buch: “Lass dir nicht alles gefallen” von Rolf Merkle. Ich hoffe, er liest es, kann einige positive Erkenntnisse für sich ziehen und beginnt langsam auch mal an sich und seine Bedürfnisse zu denken und vielleicht sogar einen “gesunden” Egoismus zu entwickeln.
Ich beschränke unseren Kontakt erstmal auf die Arbeit, auch wenn es mir schwer fällt. Ich kann im Moment einfach nichts tun, so gern ich auch würde.

Der einzige Gedanke, den ich noch habe, ist, mal mit seinem Therapeuten zu reden, ihm meine Sicht der Dinge zu schildern, da ich denke, dass er in den Gruppengeprächen einfach zu kurz kommt und sich teilweise auch verstellt. Ich weiß, der Arzt darf mir nichts über ihn sagen und mir nur zuhören, das ist auch in Ordnung so.
Könnte das ein Ansatz sein? Bitte sag mir, was ich machen kann.
Sonja (40)

Kostenloser Rat von der Paarberaterin:

Liebe Sonja,
seine Freunde haben ihn aufgegeben, sogar sein Therapeut (in der Einzeltherapie) – bei Gott, das will was heißen! Und es bedeutet auch, dass du ihm nicht helfen kannst. Vergiss das mit deinen gut gemeinten Ansätzen, “sein Selbstbewusstsein und sein Selbstwertgefühl zu stärken und seinen Mut zur Selbsthilfe zu fördern.”
Du bist keine Therapeutin, und – sorry dass ich das sage – du bist nicht mal seine erste Wahl in Sachen Beziehung, also solltest du das ganz schnell vergessen, denn es ist pure Verschwendung an Energie, Zeit, Gefühlen, Gedanken.
Ich vermute, diese Frau hat eine schwere Form von Borderline-Syndrom und dein Freund ist “co-abhängig”, hat vielleicht sogar selbst im Ansatz eine Persönlichkeitsstörung. (Schau mal im Internet nach den Symptomen vom Borderline-Syndrom und der abhängigen Persönlichkeitsstörung, da wird dir manches bekannt vorkommen!)
Jedenfalls: Dieser Mann ist nicht nur hochgradig abhängig von dieser Frau, “hörig”, ja, sondern er hat ebenso tief sitzende Pychoprobleme wie seine gestörte Freundin, und du solltest froh sein, dass du da nochmal rausgekommen bist, denn du hast erst die Spitze des Eisbergs mitgekriegt (das kannst du mir glauben).
Du warst lange allein und daher neigst du dazu, an jemand festzuhalten, der sehr lieb zu dir war. Aber ein paar Dinge waren gar nicht lieb, sondern beängstigend, und verdammt schlechte Vorzeichen – also lass ihn gehen.

Mit seinem Therapeuten zu reden, das kannst du schon versuchen, aber betrachte es als reinen Akt der Nächstenliebe und nicht als Versuch, dass er eines Tages doch eine richtige Beziehung mit dir hat.

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Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder

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