Mein Freund opfert sich wegen meiner Krankheit, ich habe Sehnsucht mich auszutoben
Er hat mir jahrelang beigestanden bei der Erkrankung, nun geht es mir besser und ich wünsche mir Freiheit, will ihn aber auch nicht verlieren
Liebe Beatrice,
ich befinde mich momentan in einer Krise und bräuchte einen Rat. Ich kam vor 6 Jahren mit meinem aktuellen Freund zusammen. Davor hatte ich schon etliche Erfahrungen gemacht, mehrere Affären, One-Night-Stands, Flirts und eine längere Beziehung. Mit meinem jetzigen Freund wohne ich jetzt 3 Jahre zusammen. Er hat mir das gegeben, was meine Exfreunde mir nicht gaben, nämlich Liebe, Geborgenheit und Sex, von dem ich auch was habe. (Vorher hatte ich nie einen Orgasmus. Die anderen Männer waren immer nur auf ihren Spaß aus.)
Ich bin sehr glücklich mit ihm. Wir können über alles reden, es gibt keine Tabuthemen. Ich muss ihm immer alles sagen, sonst habe ich ein schlechtes Gewissen – so tief ist unsere Vertrautheit. Unsere Beziehung hat schon viele Tiefs durchgestanden. So jung wie ich bin, leide ich an einer Krankheit (Weichteilrheuma). Diese trat erst während unserer Beziehung auf. Er ging mit mir zusammen von Arzt zu Arzt. Ist immer für mich da, macht wirklich alles für mich.
Auch Sex war zeitweise in unserer Beziehung nicht möglich, da ich unter zahlreichen Blasenentzündungen chronischen Grades litt, daher auch unter schlimmen Schmerzen während des Verkehrs. Es war schrecklich. Wir mussten es ganz lassen mit dem Verkehr und haben auf andere Weise versucht uns zu verwöhnen. Das ging auch ganz gut. Er kam da besser mit klar als ich, weil ich in ständiger Angst gelebt habe, dass er mich deswegen verlassen könnte. Aber für ihn ist Sex nicht das Wichtigste. Nur ich habe mich so unwohl gefühlt, so unweiblich.
Das haben wir alles zusammen überstanden, er hat mich nicht betrogen, weil ich die wichtigste Person für ihn bin. Er liebt mich so sehr. Dass er das mitgemacht hat, war der größte Liebesbeweis, den man einem nur machen kann. Das hätte kaum ein anderer Kerl mitgemacht, schon garnicht in unserem jungen Alter.
Er ist definitiv der Mann, mit dem ich alt werden möchte und Kinder haben will. Aber der Punkt ist, es geht mir im Moment besser und ich denke, was verpasst zu haben, nicht genug Männer vor ihm gehabt zu haben und nicht 100 % ausgetobt zu sein.
Ich bin so egoistisch und denke nur an mich! Fühle mich schlecht. Ich glaube, dass ich ihn garnicht verdient habe.
Und das alles, wo wir gerade eine neue Wohnung bezogen und viel Geld investiert haben.
Vor 1 1/2 Jahren hatte ich das Gefühl auch schon mal; da war er für ein Jahr berufsbedingt in eine andere Stadt gezogen. Ich vermisste ihn schrecklich. Leider gab es einen Zwischenfall auf einer Party, es war viel Alkohol im Spiel (was keine Ausrede ist) und ich habe jemand anderes geküsst – ausgerechnet seinen früheren besten Kumpel. Ich habe ihm alles gebeichtet, weil ich mit dem Gefühl und dem schlechten Gewissen nicht leben kann und ich nicht anlügen kann. Er wollte Schluss machen. Ich bin zusammengebrochen vor lauter Weinen, er hat mir schließlich vergeben und ich war der glücklichste Mensch.
Meine beste Freundin hatte ebenfalls eine 3 1/2 jährige Beziehung, dann haben sie sich getrennt. Sie war 1 1/2 Jahre Single und hat nochmal alles mitgenommen, das hat sie mir letztens gebeichtet. Und auch dass sie während dieser Zeit mit 8 Männern im Bett war. Jetzt hat sie ihren damaligen Freund wieder und ist sehr glücklich darüber. Sie möchte die Trennungszeit zwar nicht missen, aber es war für sie die unglücklichste Zeit in ihrem Leben, da sie keinerlei Liebe bekommen hat und auch sonst alles schief lief.
Trotzdem bin ich etwas neidisch auf ihre Erfahrungen.
Nach allem, was mein Partner und ich bisher durchgestanden haben, kann ich es nicht riskieren, ihn zu verlassen für ein bisschen Spaß. Ich bin in einer Zwickmühle. Denke über eine Auszeit nach, um mir über meine Gefühle klar zu werden. Und was ist, wenn es mir gesundheitlich wieder schlechter geht…?
Meine beste Freundin rät mir davon ab, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht hat und es mir ersparen will, dass ich auch einen Reinfall erlebe und meinen lieben Partner für immer verliere. Das möchte ich auch nicht. Sie selbst hatte ihren Partner schon verloren, er hatte eine neue Liebe und lebte auch mit ihr. Wie durch ein Wunder hat sie ihn wiederbekommen.
Nur kann ich meinem Freund ja nicht den Vorschlag machen, dass wir uns für zwei Jahre trennen und dann wieder zusammenkommen.
Ich komme mir so schlecht vor, solche Visionen zu haben. Weil ich eigentlich wissen müsste, wie wichtig es ist, einen so tollen Partner zu haben, der einem immer beisteht.
Ich hoffe, dass du mir irgendeinen Rat geben kannst, egal was ich dann daraus mache.
Michelle (24)
Liebe Michelle,
das wundert mich nicht, dass deine Krise jetzt kommt. Ihr seid schon 6 Jahre zusammen und habt grade einen Schritt in Richtung „noch festere Bindung“ und „noch mehr gemeinsame Zukunft“ gemacht, nämlich große Investition in eine neue Wohnung, ABER: Im Grunde bist du noch nicht bereit für so eine feste, enge, lange Bindung (die nun unweigerlich auf Heirat und Familie-Gründen zusteuert), und tief im Innern fühlst du dich noch nicht so weit. Du bist noch so jung! Du willst noch Spaß haben, rumspielen, es ein bisschen krachen lassen, dich ausprobieren.
Alles ganz normal und nachvollziehbar. Kein Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Aber das Blöde ist, du hast nicht nur Angst, bei einer Auszeit den Mann deines Lebens zu verlieren. Sondern du fühlst dich auch in seiner Schuld. Weil er so viel für dich getan hat – vermutlich mehr als du für ihn.
Und dieses Schuldgefühl verstärkt möglicherweise deinen Drang nach einer kleinen Flucht.
Ich vermute: Obwohl er ein toller Mann ist und ihr eine wunderbare Beziehung habt, fühlst du dich ein wenig wie in einem goldenen Käfig. Das drückt dir sogar auf die sexuelle Lust.
Stimmt´s? (Wenn ich unrecht habe, kannst du´s gern sagen.)
Also. Schuldig bist du ihm nichts, weil du ihn zu nichts gezwungen hast, weil er dafür ja deine Liebe bekommen hat und weil es auch ein verdammt gutes Gefühl sein kann, jemandem zu helfen und für jemand da zu sein, der einen braucht.
Deine Freundin hat durchaus recht mit ihren Argumenten, aber das ändert nichts daran, dass du noch zu jung bist für so eine lange feste Bindung.
Was rate ich? Du musst offen und ehrlich mit deinem Freund drüber reden. Vielleicht nicht grade, dass du mit anderen Männern rummachen willst, aber eben dass du noch nicht so weit bist für euren Stand der Beziehung und es gern wieder ein wenig zurückfahren möchtest in Richtung „mehr Freiheit“ bzw „mehr Lockerung“ (eventuell sogar wieder getrennte Wohnungen – was ja ganz normal wäre für Leute eures Alters!). Ihr beide solltet eine Lösung aushandeln, mit der sich beide gut fühlen. Wer weiß, vielleicht trägt er tief im Innern einen ähnlichen Wunsch mit sich herum…!
Du könntest auch einen Deal mit ihm machen, so nach dem Motto „Ich bräuchte noch ein, zwei Jahre, wo ich mehr Freiheit und Zeit für mich habe, und danach könnte ich mich viel besser mit ganzem Herzen auf unsere Beziehung einlassen…“
Liebe Grüße und alles Gute
Beatrice Poschenrieder