Keine Beziehung, kein Sex: Zu dick, um eine Partnerin zu finden?

Er ist echt fett und beklagt ständig, dass er deshalb keine Frau findet. Aber Abnehmen will er auch nicht, hat lauter fadenscheinige Ausreden

Bin ich zu dick, um eine Frau / Partnerin zu finden?

Hallo verehrte Beatrice,
ein ganz lieber Freund von mir hatte bis jetzt weder eine Beziehung noch sexuellen Kontakt mit Frauen (er ist nicht schwul), was ja mit 25 eher ungewöhnlich ist. Von der Art her ist er super: immer da, wenn man ihn braucht, und auch für jeden Spaß zu haben. Er hat natürlich auch seine Schwächen, ist ziemlich schüchtern und traut sich nicht einmal eine Frau anzusprechen. Leider wirft er auch ziemlich schnell das Handtuch, weil er der Meinung ist, er würde mit seinem starken Übergewicht (160 KG auf 179 cm) eh nirgendwo landen können.
Leider gibt es auch oft genug Situationen, wo er in seiner Meinung bestätigt wird, z.B. wenn er unterwegs ist und dann Leute (i.d.R. im Alter unter 30 Jahre) sich über ihn lustig machen, sei es, dass sie dann über ihn lachen oder solche Kommentare kommen wie „Schau dir mal den Fetten da an“ oder „Mann, ist der dick“ oder „Fettsack“ u.a. Solche Kommentare kommen von Männern wie von Frauen. Ich muss gestehen, als ich ihn vor etwa 8 Jahren das erste Mal sah (da wog er wohl etwa 120 KG), dachte ich mir auch, auweia, der bringt ja ganz schön was auf die Waage… aber ich habe ihn dann kennengelernt und es schnell vergessen, weil ich halt gesehen habe, wie liebenswert er ist.
Er leidet seit etwa 3 Jahren darunter, dass er, wie er sagt, ein lebenslanger Single ist. Er ist seitdem fast dauerdepressiv. Ich habe ihm nun geraten, doch mal eine Singlebörse zu nutzen, wenn er schon täglich viele Stunden im Internet abhängt. Das hat er dann wohl getan und es kam nichts bei raus.
Also habe ich ihm geraten, dann solle er doch mal seine Scheu überwinden und eine Frau ansprechen, aber das traut er sich leider noch immer nicht. Mein nächster Rat war dann, dass er mal öffentliche Orte aufsucht, wo viele Menschen sind, aber das ist ihm zu stressig. Nun konnte ich ihm nur noch einen Rat geben, auch wenn ich es nur ungern gemacht habe, um ihn nicht zu verletzen – eine Diät zu machen. Damit hat er aus mehreren Gründen ein Problem:
1. Er habe eine Erkrankung der Schilddrüse, die eine Diät schwierig macht.
2. Er wurde falsch erzogen („das Übergewicht wächst sich noch aus“) und sieht sich inzwischen, wo er es realisiert hat, nicht imstande, sich den letzten Ruck zu geben und zu sagen, ja ich will abnehmen; er geht eher davon aus, dass er das nur einen Tag oder so aushält.
3. Er vertritt die Meinung, er müsse mindestens 60 Kilo abnehmen, um auf ein Gewicht von maximal 100 KG zu kommen und somit noch halbwegs für Frauen interessant zu sein. Er meint aber, dass es kaum machbar sei, 60 KG abzunehmen wegen seiner Schilddrüse und weil´s allgemein nicht gesund ist, so extrem viel innerhalb von kurzer Zeit an Gewicht zu verlieren.
Auch aufmunternde Worte wie „Zu jedem Topf passt auch ein Deckel“ helfen da nicht weiter, weil er dann sofort fragt, „ja und wann kommt dieser Deckel“? Sage ich stattdessen, „Du wirst ganz bestimmt jemanden finden“, kommt die Rückfrage, warum z.B. ich mich nicht in ihn verliebt habe. Dies kann ich ihm nur damit beantworten, dass wir a) gute Freunde sind und ich durch so etwas nicht die Freundschaft gefährden will, b) weil er halt vom Aussehen her nicht der Typ Mann ist, der mich anzieht. Dann kommt aber auch gleich wieder die Ansage, „ja, warum sollte eine Frau da mal anders denken“.
Also der Wunsch, mit mir eine Beziehung zu führen, kam von ihm schon mal. Ich habe ihm dann gesagt, dass wenn es nur nach der Art ginge, er sicher ganz oben bei mir auf der Liste wäre, aber es geht nunmal auch um das Aussehen, und somit war für uns beide das Thema erledigt.

Ich kann ihn ja auch verstehen, wenn er sagt, er möchte nicht irgendwem zuliebe sein Aussehen verändern, nur damit er mal wo ankommt.
Leider bin ich nun auch mit meinem Latein bei ihm am Ende; einerseits ist es ihm schon verdammt wichtig, eine Beziehung zu haben, andererseits glaube ich, er will sich nicht dafür einsetzen und mal was dafür tun, sondern macht einen auf verzweifelt.
Er ist inzwischen so weit, dass er schon sagt, wenn er 30 ist und noch keine Beziehung hatte, wird er das Leben verlassen.
Ich weiß echt nicht mehr weiter, wie ich ihm noch helfen kann. Ich hätte ihn ja auch gerne verkuppelt, aber selbst das kann ich nicht bewerkstelligen, da ich noch kein Mädchen gefunden habe, was an ihm Interesse hat.
Kann ich ihm überhaupt noch helfen und wenn ja, wie? Oder muss ich jetzt die Ohren auf Durchzug schalten, wenn es wieder um das Thema geht?
MfG, Sue (25)

Liebe Sue,
meine Gedanken dazu:
Wenn er eine Partnerschaft will und insgesamt zufriedener werden will und seine Depressionen loswerden möchte, führt an einer Gewichtsabnahme kein Weg vorbei. Du hattest vollkommmen recht, hierin klare Worte zu äußern.
Seine Argumente dagegen sind – mit Verlaub – ziemlicher Schwachsinn. Erlaube mir, sie zu kommentieren:
„1. Er habe eine Erkrankung der Schilddrüse, die eine Diät schwierig macht.“
Immer diese Drüsen-Ausflüchte! Eine Erkrankung der Schilddrüse führt nur dann zu Gewichtszunahme, wenn zu wenig Schilddrüsenhormone ausgeschüttet werden. Diese können relativ unkompliziert durch Tabletten ersetzt werden, und es hilft sehr bei der Gewichtsreduktion. Falls der Arzt diese Erkrankung wirklich festgestellt hat, wird er ihm auch die Tabletten verschrieben haben; entweder dein Freund nimmt sie nicht (was, mit Verlaub, total bekloppt wäre), oder er isst noch mehr, um an seinen 160 kg festzuhalten (mehr dazu weiter unten).

„2. Er wurde falsch erzogen („das Übergewicht wächst sich noch aus“) und sieht sich inzwischen, wo er es realisiert hat, nicht imstande, sich den letzten Ruck zu geben und zu sagen, ja ich will abnehmen; er geht eher davon aus, dass er das nur einen Tag oder so aushält…“
Um 160 Kilo zu halten, muss man so viel essen, dass man bei einer kalorienreduzierten Ernährung noch lang nicht hungern muss! Man muss sich nur intensiv damit befassen (lesen, nachfragen, sich informieren) oder sich in die Hände einer erfahrenen Ernährungsberaterin begeben. Er soll ja keine Nulldiät machen, sondern seine Ernährung umstellen und alles Dickmachende weglassen bzw. reduzieren. Überaus wichtig wäre zudem Bewegung, auch für sein Seelenleben. Es ist nachgewiesen, dass Sport und Bewegung nicht nur Fett reduzieren und allen hormonbildenden Drüsen (also auch der Schilddrüse) gut tun, sondern auch einen überaus aufhellenden Effekt auf die Psyche haben – vor allem wenn es draußen in der Natur passiert (geeignet für adipöse Menschen sind Schwimmen, Radfahren und stramme Spaziergänge).

„3. Er vertritt die Meinung, er müsse mindestens 60 Kilo abnehmen, um auf ein Gewicht von maximal 100 KG zu kommen und somit noch halbwegs für Frauen interessant zu sein. Er meint aber, dass es kaum machbar sei, 60 KG abzunehmen wegen seiner Schilddrüse und weil´s allgemein nicht gesund ist, so extrem viel innerhalb von kurzer Zeit an Gewicht zu verlieren.“
Wieder so eine fadenscheinige Ausrede. Erstens muss man ja irgendwann mal anfangen – ich meine, 130 kilo wären schon mal wesentlich attraktiver als 160, ne? und gesünder auch!, zweitens verlangt NIEMAND von ihm, innerhalb von kurzer Zeit 60 kilo abzunehmen. So wie´s aussieht, steht er vor der Wahl, entweder die nächsten paar Jahre beziehungslos und unglücklich zu verbringen und sich dann das Leben zu nehmen, oder endlich mal sein Geschick anzupacken und fürs andere Geschlecht erstrebenswerter zu werden.
Du sagst dazu:
„Ich kann ihn ja auch verstehen, wenn er sagt, er möchte nicht irgendwem zuliebe sein Aussehen verändern, nur damit er mal wo ankommt.“
Ja aber was nützt ihm diese Einstellung, wenn ihn nun mal keine Frau haben will? Ist ja ok, wenn er so ne Einstellung hat, aber kann er die Einstellung umarmen, mit ihr ins Bett gehen, sie lieben?
Immer wieder kriege ich Briefe von Leuten, die sich gehen lassen und mich fragen: „Warum will mich keine/r? Aber ich will mich doch nicht verbiegen! Ich will doch so geliebt werden, wie ich bin!“
Der Haken ist nur: so wie sie sind, lieben sie sich nicht mal selber. Im Gegenteil, sie hassen sich. Wie sollte sie da jemand anders lieben und begehren.
Und ehrlich gesagt, ich möchte auch keinen Partner, der sich gehen lässt. Die meisten von uns tun doch was dafür, damit wir geliebt und begehrt werden. Wir pflegen uns, halten uns in Form, ziehen uns was Nettes an, gehen ab und zu zum Frisör, legen uns einen Beruf zu oder machen uns anderweitig nützlich…
Manche Menschen, die sehr geliebt werden, bekommen das Geschenk der Liebe auf scheinbar mühelose Art und Weise, aber wenn man genau hinschaut, tun sie einiges dafür!
Also ich rate dir, nochmals an deinen Freund zu appellieren, sich aufzuraffen und sein Leben aktiv in die Hand zu nehmen – statt in Selbstmitleid und Lethargie zu versumpfen.

Dieses extreme Übergewicht, was er jetzt hat, ist ja auch allgemein eine starke Gesundheitsbelastung, schlimmer als jede Diät es sein könnte. Aber all das weiß er schon längst, zumal es ihm mindestens ein Arzt gesagt haben wird.
Und er weiß schon sehr lange (vermutlich schon seit der Pubertät), dass er abnehmen muss, um sich besser zu fühlen und um eine reelle Chance bei Frauen zu haben. Er weiß auch schon seit mindestens 8 Jahren, dass sich das nicht mehr „auswächst“, denn mit Sicherheit hat er in und seit der Pubertät nicht Gewicht verloren, sondern immer mehr zugelegt. Also weiß er auch, dass das Ausreden sind. Irgendetwas in ihm sträubt sich mit Händen und Füßen gegen das Abnehmen.
Möglicherweise hält er deswegen so sehr an seiner Leibesfülle fest, weil sie eine Art Schutzpanzer gegen intime Beziehungen ist. Denn vielleicht hat er tief in seinem Innern eine Höllenangst davor.
Da er depressiv ist und sogar schon Selbstmordabsichten hat, muss er sich unbedingt und dringend in psychologische Behandlung begeben und sich psychotherapeutisch beim Abnehmen unterstützen lassen. Sag ihm das in aller Klarheit. Verwirf den Gedanken, dass du ihn damit „verletzen“ könntest! Du rettest damit u.U. sein Leben!

Herzlichst
Beatrice Poschenrieder

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