War ich wirklich so schlimm zu ihm? Warum gibt er uns keine Chance mehr?

Ich bin halt angriffslustig, verliere schon mal die Kontrolle über meine Worte. Beim letzten Streit machte er Schluss. Ich will ihn zurück!

Ich bin dominant, aggressiv und streitsüchtig, na und? Ich bin halt so

Liebe Beatrice,
ich komme im Moment nicht richtig weiter, das Ende meiner Beziehung zu „verdauen“.
Lebe alleine und arbeite erfolgreich in einem renommierten Unternehmen. Nach der Trennung von meinem Ex-Ehemann habe ich mich in sexueller Hinsicht ausgetobt und jede Menge Erfahrungen gesammelt, die mir fehlten, da ich bereits mit 19 Jahren geheiratet habe. Diese wilde Leben sagte mir aber nicht so zu. Mir fehlten Liebe und Zärtlichkeit und ich wollte nicht immer alleine sein. Dann habe ich zufällig einen alten „Jugendflirt“ wiedergetroffen (er ist 27, wie ich). Es hat, wie bei unserer ersten Begegnung, sofort eingeschlagen. Wir waren bis über beide Ohren verliebt. Es passte alles: Der Sex war fantastisch, liebevoll, zärtlich ohne Ende. Wir kamen mit den Freunden und Arbeitskollegen des anderen prima aus. Die selben Interessen, Hobbies, Werte. Kurz gesagt, es passte.
Leider haben sich nach dem anfänglichen Verliebtsein Probleme bei uns eingeschlichen.
Ich war mir nicht mehr sicher, ob er der „Richtige“ für mich ist. Er ist meines Erachtens der „Hausboy“ seiner Mutter. Seine Eltern ließen sich vor 11 Jahren scheiden. Er war damals 16 Jahre und ist seitdem der Mann im Haus. Er übernimmt Arbeiten wie Böden verlegen, Waldarbeiten, Rasenmähen, Brunnen reparieren.
Seine Mutter hat seit 10 Jahren einen neuen Partner. Der im Haushalt mitlebt. Sollte der nicht als Gegenleistung ein paar Arbeiten übernehmen? Aber so ist mein Ex-Freund. Er übernimmt jede Menge Arbeiten für andere, ohne dass er etwas zurückbekommt, und wundert sich, dass seine eigene Arbeit liegen bleibt und er es nicht schafft, erfolgreich selbständig zu werden.
Ein weiterer Punkt, warum ich zweifelte, war, dass ihn unsere Streitereien sehr mitgenommen haben. Bei unserem letzten Streit am Telefon hat er für drei Tage seine Berater-Termine abgesagt und sich ins Bett gelegt.
Kurz danach hat er dann mit mir Schluss gemacht.

Sicher, ich bin ein Mensch, der sehr direkt ist und kein „Blatt vor dem Mund nimmt“. Wenn bei mir der Druck von außen zunimmt, der Stress steigt, neige ich dazu, ihn als Ventil zu missbrauchen. Meistens habe ich Streiterein bewusst heraufbeschworen.
Auf der anderen Seite war ich selbst durch meine Ehe angeschlagen. Ich wurde jahrelang betrogen und hatte erst einmal Schwierigkeiten ihm zu vertrauen.

Unser letzter Streit lief wie folgt ab: Ich hatte Angst, total unbegründet, dass er mich wegen einer anderen verlässt. In mir wurde der Druck unerträglich groß. Er musste irgendwie raus. Ich habe ihm dann eröffnet, dass ich am Freitag nicht mit ihm ausgehe, sondern lieber mit meinen Freunden feiere, ich würde mich volllaufen lassen, im übrigen sei ein ehemaliger Verflossener ebenfalls mit dabei, der mich schon Silvester wieder angebaggert hat.
Ich habe dann gemerkt, dass ich viel zu weit gegangen war, und habe mich entschuldigt. Es war zu spät. Einen Tag später hat er mit mir Schluss gemacht.

Es fällt ihm ebenfalls schwer. Er leidet wie ich unter der Trennung. Will Erinnerungsstücke behalten und unbedingt meine Freundschaft wahren.
Ich habe ihn die letzten zwei Wochen ziemlich bedrängt. Nicht verstanden, warum er mit mir Schluss gemacht hat.
Er sagt, dass er Angst hatte vor jedem weiteren Streit. Dass er das nicht mehr ausgehalten hat.
Er kann dann teilweise nicht mehr richtig sprechen und muss deshalb seine Termine absagen. Er kann sich nicht mehr vorstellen, eine Beziehung mit mir zu führen. Wir passen nicht zusammen.
Er wollte, dass ich mich erst einmal nicht mehr melde.
Das habe ich getan. Nach drei Tagen hat er dann bei mir angerufen und wollte reden. Er erzählte mir, dass er das erste Mal in der Arbeit auf den Putz gehauen hat. Er wolle sein Leben ändern und in den Griff bekommen und hat mich als Vorbild gesehen. Ich habe mir wieder Hoffnungen gemacht. Er hat auch nachgefragt, warum ich teilweise mit ihm gestritten habe, und mich verstanden.
Drei Tage später meinte er auf meine Nachfrage, dass das rein freundschaftlich war. Er wollte mir keine Hoffnungen machen. Im Gegenteil hat er mich angekläfft, ob ich überhaupt weiß, was ich mit ihm im letzten Jahr angestellt habe, und dass ich offenbar nicht akzeptiere, dass er diese Entscheidung getroffen hat.
Wieso verstehe ich ihn nicht?
War ich wirklich so schlimm?
Warum hat er dann erzählt, dass es teilweise die beste Beziehung war, die er jemals hatte – wenn nur nicht die Streiterein gewesen wären…
Ich habe ihm versprochen, dass ich mich ändern kann und das auch tun muss. Kein Mensch will immer grundlos angeschnauzt werden. Aber ich werde immer ein kleiner Vulkan bleiben, der ab und zu einmal ausbricht.
Er meinte doch mal, er mag es nicht, wenn alles so ruhig dahin läuft! Und dann bin ich doch wieder an der ganzen Trennung alleine schuld.
Wieso verhält er sich so? Haben wir noch eine Chance?
Bitte hilf mir, ich liebe ihn wirklich sehr.
Sonya (27)

Liebe Sonya,
es mag von den äußeren Gegebenheiten gut passen, aber im Innern sind da ein paar riesige Unterschiede, die vielleicht immer zwischen euch stehen werden, z.B.
• er ist ein großer Konfliktvermeider, du bist streitsüchtig
• du bist eine Kämpferin, er ist ein Flüchter
• du bist teils recht aggressiv, was Vorteile hat (z.B. Durchsetzungsfähigkeit), aber auch Nachteile (z.B. dass er sich von dir angegriffen und überrollt fühlt)
• er hingegen scheut aggressives Verhalten, hat sogar Angst davor bzw. es macht ihm Angst
• er ist emotional nicht grade stark und stabil (z.B. legt sich 3 Tage ins Bett, nur weil ihr gestritten habt, und sagt alle beruflichen Termine ab), du aber brauchst ein starkes Gegenüber, weil du zur Dominanz neigst.

Wieso verhält er sich so widersprüchlich?
Weil er dich einerseits noch sehr lieb hat, andererseits große Angst, dass du ihn weiterhin verletzst und irgendwann bei ihm nur noch eine riesige Wunde klafft.
Du sagst:
„Ich werde immer ein kleiner Vulkan bleiben, der ab und zu einmal ausbricht… Er meinte doch mal, er mag es nicht, wenn alles so ruhig dahin läuft!“
Eine Frau und eine Beziehung kann auch spannend sein, ohne aggressiv und verletzend zu sein. Aber leider bist du genau das manchmal. Zum Beispiel deine Aktion bei diesem einen Streit – schlimm! Kein Wunder, dass dein Ex nicht mehr damit klar kam. Kann es sein, dass du manchmal die Kontrolle über deine Emotionen verlierst? Wenn ja: das darf nicht sein. Emotionen sind ja fein, aber wenn sie aus dem Ruder laufen und den anderen nur noch verletzen, dann ist es an dir, das in den Griff zu bekommen. Am besten mit fachlicher Hilfe. Tu es nicht für ihn, tu es für dich. Ihn solltest du erst mal loslassen und dich intensiv mit dir selbst beschäftigen. Mit deinem Innenleben und warum du so bist, wie du bist. Ich möchte dir dazu zwei super Bücher ans Herz legen:
Liebeskummer lohnt sich doch: Co-Abhängigleit in der Beziehung und die Ängste des Inneren Kindes (Koregaon)

Liebe ist (k)ein Kinderspiel: Von unseren Ängsten und der Kunst, aus Beziehungen zu lernen (Koregaon)

Allerdings musst du trotzdem zur Therapeutin!

Alles Gute
Beatrice Poschenrieder

Wieso will ihr Ex nicht wieder mit ihr zusammenkommen???

Hallo Beatrice,
danke für deine Antwort (hier geht´s zu Teil 1 dieses Briefes!).
Ich habe lange darüber nachgedacht und sehe ein, dass ich meine Emotionen nicht immer unter Kontrolle habe. Aber als “streitsüchtig” sehe ich mich nicht, denn direkt Konflikte suche ich nicht. Im Gegenteil, wenn es zu Spannungen in der Arbeit und Familie kommt, dann fühle ich mich schlecht und wenn berechtigt, auch schuldig.
Wenn ich meinen Ex-Freund fertig gemacht habe, dann nur, weil ich meistens Angst hatte. Ich wurde während meiner fünfjährigen Ehe unzählige Male betrogen und bin schon etwas angeschlagen in die neue Beziehung gegangen.

Der Streit, der sein Schluss-Machen ausgelöst hat: Ich wollte wissen, ob er mich auf die Geburtstagsfeier einer guten Freundin von ihm mitnimmt (er weiß, dass ich diese nicht mag). Er meinte, er weiß noch gar nicht, ob er da hin geht, und versteht nicht, warum ich mitwill, wenn ich die betreffende Person eh nicht leiden kann. Auf einmal kam die alte Angst in mir hoch, dass er mich genauso betrügt wie mein Ex-Ehemann. Dann schnürt es mir die Luft ab und ich kriege Panik. In der Panik renne ich einfach los und benutze dann mein Mundwerk als Waffe, so nach dem Motto “Bevor du mich triffst, treffe ich dich zuerst”.
Die Situationen kamen vielleicht ein halbes Dutzend mal vor pro Jahr.
Mein Ex-Freund ist so ein ruhiger und vertrauensvoller Mann. Ich habe sehr schnell mein Innerstes vor ihm ausbreiten können.

Vor einer Woche habe ich mich mit ihm zum Kaffeetrinken getroffen. Ich wollte ihn einfach sehen und ein bisschen quatschen. Auf meine Frage, wie es ihm geht, sagte er, schlecht und dass es an mir liegt. Er kann nicht mit mir, aber auch nicht ohne mich leben. Er braucht abends zig Kissen, um einen Ersatzkuschelpartner zu finden, sonst kann er nicht einschlafen. Er sieht erst jetzt, was er verloren hat, und ich würde ihn immer noch anmachen und er könnte mich auf der Stelle vernaschen.
Auf einmal wollte er eine Aussprache. Ob er es verdient hat, dass ich ihn so schlecht behandelt habe? Warum ich das tue?
Er glaubt mir, dass ich mich ändern kann (zum ersten Mal hat er das gesagt), nur hat er immer noch Angst.
Er erzählt mir, dass er ins Fitnessstudio geht und fleißig trainiert. Er hat jetzt auch mit dem Rauchen aufgehört und geht nicht mehr so oft weg. Er arbeitet jetzt konzentriert an seiner Karriere. Wieso erzählt er mir das? Will er mir etwas beweisen?

Wenn ich ihm vorschlage, dass wir es langsam wieder versuchen sollten, dann blockt er ab. Er sagt, es hat keinen Sinn mehr… Auf der anderen Seite sagt er mir die ganzen Dinge und legt noch nicht einmal meine Schlüsselanhänger ab. Er ist sich nach 4 Wochen immer noch nicht sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat.

Was soll ich nur tun? Haben wir noch eine Chance? Soll ich ihn in Ruhe lassen?
Warum, wenn er mich liebt, springt er nicht über seinen Schatten und kommt zu mir zurück?
Kann ich etwas tun?
Ich will einmal ganz genau wissen, woran ich bin. Den Schluss-Strich genau vor mir sehen, um ihn akzeptieren zu können. Verstehst du das?

Ich möchte dir für deinen ersten Rat danken. Der hat mir wirklich die Augen geöffnet.
Sonya (27)

Liebe Sonya,
mag sein, dass du in Arbeit und Familie Konflikte meidest, aber die Liebe ist ein ganz anderer Bereich. In der Liebe werden Emotionen wach, die in anderen Bereichen nicht hochkommen oder die wir dort viel besser unter Kontrolle haben.
Du schriebst in deiner ersten Mail:
„Wenn bei mir der Druck von außen zunimmt, der Stress steigt, neige ich dazu ihn als Ventil zu missbrauchen. Meistens habe ich Streiterein bewusst heraufbeschworen.“
Wenn das mal nicht streitsüchtig ist! Selbst wenn es nur alle zwei Monate vorkommt: Das macht 6 mal in einem Jahr, und mit jedem Mal wird die Wunde im Herzen deines Freundes größer, weil er dazu neigt, es in sich reinzufressen und fein säuberlich zu sammeln, statt es gleich wieder rauszulassen. Von daher war JEDES MAL, wo du gemein und ungerecht zu ihm warst, zu viel.
Es gibt Paare, die sind jahrelang zusammen und doch kommt es nie vor, dass sie so schlimm streiten, dass böse Verletzungen entstehen. Man kann auch streiten oder seinen Ängsten Ausdruck verleihen, ohne den anderen böse zu verletzen.

Du schreibst, um dein Verhalten zu rechtfertigen:
„Auf der anderen Seite war ich selbst durch meine Ehe angeschlagen. Ich wurde jahrelang betrogen und hatte erst einmal Schwierigkeiten ihm zu vertrauen.“
Meine Liebe, das tut mir leid für dich, aber es ist keine Entschuldigung. Du kannst nicht an einem Unschuldigen auslassen, was jemand anders dir angetan hat. Es ist nicht Aufgabe deines Freundes, deine alten Wunden zu heilen, sondern Aufgabe einer Therapie oder Paarberatung (wo du auch allein hingehen kannst).

„Er erzählt mir, dass er ins Fitnessstudio geht und fleißig trainiert. Er hat jetzt auch mit dem Rauchen aufgehört und geht nicht mehr so oft weg. Er arbeitet jetzt konzentriert an seiner Karriere. Wieso erzählt er mir das? Will er mir etwas beweisen?“
Er will dir zeigen, dass er alle möglichen Bemühungen anstellt, um sich positiv zu verändern. Und das erwartet er auch von dir.

„Wenn ich ihm vorschlage, dass wir es langsam wieder versuchen sollten, dann blockt er ab… Warum, wenn er mich liebt, springt er nicht über seinen Schatten und kommt zu mir zurück?“
Weil er noch nicht wirklich sieht, dass du dich ernsthaft darum bemühst, dich so zu verändern, dass er keine Angst mehr vor dir zu haben braucht.

„Kann ich etwas tun?“
Oh ja. Das, was ich dir schon in der letzten Mail nahelegte: Sprich mit einer Therapeutin über deine Wunden und Ängste und wie du die damit verbundene Wut loswerden bzw. in den Griff bekommen kannst.
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder

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